Wir verbrachten die Tage zuhause, wohlwissend, dass die Fahrt bald weiter nach Kaltland gehen sollte. Doch als dann bereits nach vier Tagen Bus und Smart gepackt wurden, da waren wir schon etwas traurig. Ein wenig länger hätten wir doch hier bleiben können, da waren wir uns alle vier einig. Na ja, die Menschen bestimmen eben unser Schicksal, und so wurden wir zusammen mit den Meerschweinchen in Smart und Bus verfrachtet, und fuhren bei strahlendem Sonnenschein am Freitag, dem 6. Dezember, also dem Nikolaustag los, zuerst zum Hafen, und dort mal wieder auf ein riesiges Schiff. Alles hatte gut geklappt bisher, wirklich alles, nur dass der Boss ständig einen traurigen Eindruck machte. Er hatte nicht fortfahren wollen. Wie wir wäre er lieber noch eine Weile geblieben.
Das Schiff kam gerade an als wir in den Hafen hinein fuhren und legte fast pünktlich ab. Wir machten es uns im Auto gemütlich und fingen wieder an zu erzählen. Chefin und Boss lasen, und als wir spät abends schlafen gingen, merkten wir nicht, dass sich vorne bei den Meerschweinchen eine Tragödie abspielte. Tito und Fetz waren zusammen in einer Plastikbox, Rudi in der anderen, weil sie, wenn sie zusammen waren, immer nur rauften. Tito und Fetz hampelten in ihrer Box herum und fraßen das frische Gras, das die Chefin von zuhause mitgebracht hatte. Alles schien bestens. Der Boss wollte am Morgen den Meerschweinchen frisches Gras geben, da blieb mir mit seinem Schrei fast das Herz stehen: Tito und Fetz waren tot, sie lagen erstickt in ihrer Box. Aus irgendeinem Grund rastete in der Nacht der Plastikdeckel von Titos und Fetz' Box so ein unglücklich ein, dass kein Lüftungsspalt mehr offen blieb. Dabei hatte die Chefin am Abend extra noch ein Buch unter den Deckel gelegt, damit ja nichts passieren könnte. Nun, so schlägt das Schicksal bisweilen unvermittelt zu.
Zwei aus unserem Rudel waren tot, zwei würden nun für alle Zeit fehlen. Die Chefin starrte traurig mit kalkweißem Gesicht vor sich hin, der Boss hatte Tränen in den Augen, denn er fühlte sich für Titos und Fetz' Tod verantwortlich. Er hatte eigentlich nicht nach Kaltland fahren wollen, nicht jetzt. Und wenn er nicht gefahren wäre, wäre wohl alles anders gekommen. Dann hätten die beiden Schweinchen wahrscheinlich weiter leben können. Ich weiß nicht, was noch für Gedanken durch seinen Kopf gingen, doch uns allen war klar, dass weder er noch die Chefin wirklich etwas dazu konnten. Wir Hunde sehen die Dinge viel realistischer als die Menschen. Wenn etwas passiert, so ist es Schicksal. Wir maßen uns nicht die Macht an, es zu verändern. Was passiert, passiert, und damit basta. Solange man lebt, muss man leben, glücklich sein und dafür sorgen, dass es einem gut geht. Ist man tot, dann muss dies einen nicht mehr kümmern. Ich glaube, Meerschweinchen haben eher dieselbe Philosophie wie wir. Rudi jedenfalls, der die Katastrophe überlebte, weil er in der anderen Box saß, deren Deckel nicht einrasten konnte, schien gänzlich unberührt vom Tod seiner beiden Artgenossen. Ich weiß diese philosophischen Dinge hauptsächlich von Onkel Ari und Tante Kyra. Und manche Dinge weiß ich einfach so, ohne dass mir jemand was dazu gesagt hätte.
Klar, dass die Ankunft in Italien eine ziemlich traurige war. Doch zum Nachdenken blieb gar nicht viel Zeit. Rasch waren wir aus dem Hafen heraus und auf der Autobahn, und schon ging's weiter wie wir es inzwischen ja oft genug kennen gelernt hatten. Kilometer um Kilometer spulten wir herunter. Ich saß mit der Chefin und Ari zusammen im Smart, Lara und Kyra fuhren mit dem Boss im Bus, der immer hinter uns drein fuhr. Manchmal winkte der Boss oder fuchtelte auch mal wie wild. Wahrscheinlich wollte er der Chefin sagen, dass sie nicht nach dem auf Autobahnen üblich Motto fahren solle, stets schneller als das voraus fahrende Fahrzeug zu sein. Jedenfalls kamen wir schnell voran und waren zur Abendessenzeit am Brennerparkplatz, wo wir uns inzwischen fast heimisch fühlten. Wir übernachteten dort und fuhren am Morgen durch die schneebedeckten Berge nach Kaltland, zuerst wieder zu den Omas nach Aulendorf um einen Teil der Orangen loszuwerden, die unseren Gepäckraum blockierten, schließlich aber weiter zum Haus der Chefineltern, in dem sich unsere Kaltlandwohnung befindet. Am Abend waren wir endlich dort. Es war alles unverändert und Gott sei Dank war diesmal nicht alles verschimmelt. Es roch zwar etwas muffig, aber es war warm und trocken, und nachdem die Chefin ein paar Stunden gelüftet hatte, war es wieder richtig angenehm.
Es dauerte natürlich ein paar Tage, ehe wir uns an die Umgebung in Kaltland gewöhnt hatten. Die größten Probleme bereitete uns das Wetter. Anfangs hat es uns dauernd gefroren, genau wie den Boss. Nur hab ich nicht rumgemosert wie der, sondern hab mich mit Lara und Ari zusammen viel bewegt. Das hat natürlich warm gemacht, manchmal aber auch Ärger eingebracht. Besonders, wenn wir vor lauter Jagdeifer die Chefin nicht mehr gehört haben. Das gab regelmäßig Zoff. Boss und Chefin haben zuerst mal für ein paar Tage die ganze Wohnung neu gestrichen. Es gab also die ersten Tage viel Durcheinander, denn da wurden ständig die Möbel an andere Stellen verschoben, überall standen Farbeimer herum und tagsüber waren die meisten Möbel mit Plastikfolien abgedeckt, auf die wir nicht drauftreten durften, weil wir sonst weiße Flecken über den Fußboden verteilen würden. Aber auch dieser Stress ging vorbei, und nachdem endlich alles sauber und schön weiß war, fing die gemütliche Zeit an, obwohl es draußen bis minus 15° C kalt war.
Gleich am zweiten Abend nach unserer Ankunft haben sie uns vier Hunde ganz alleine zuhause gelassen. Ich weiß gar nicht, wie die sich vorkommen, uns einfach so als den schwächeren Teil des Rudels alleine zu lassen. Sonst spielen sie sich immer als Rudelführer auf, und wir verlassen uns darauf, dass wir richtig behütet und versorgt werden, und dann hauen die einfach für ein paar Stunden ab. Selbst Tante Kyra hat das absolut nicht gepasst, obwohl sie sonst immer die ganz Coole ist. Sie meinte zwischendurch mal rausgehen zu müssen um nachzuschauen, ob unsere Menschen nicht vielleicht nur draußen stehen und nur den Schlüssel vergessen haben und deshalb nicht rein kommen oder so. Aber die Wohnungstür war verschlossen, und so nützte es auch nichts an dem kalten Eisengriff zu rütteln, mit dem laut Kyra die Tür normalerweise aufgeht. Nur das Holz haben wir zerkratzt, und Kyra ist mit ihrem dicken Fell an einem Kaktus hängen geblieben und hat ihn mit all seinen Stacheln einfach aus dem Blumentopf herausgezogen. Als Chefin und Boss spät am Abend zurückkamen, gab's deshalb natürlich Ärger. Aber ich glaube, Kyra hat's dem Boss dann doch alles erklären können, so dass wir schließlich alle als Belohnung für treues Warten je einen Keks, natürlich einen Hundekeks bekamen.
Wie beim letzten Besuch in Kaltland haben wir schon nach ein paar Tagen die Bosseltern besucht. Die wohnen auf einem Berg, und da gab's schon ziemlich viel Schnee, in dem man herrlich rumtollen konnte, auch wenn das weiße Zeug eiskalt war und manchmal in der Nase kitzelte. Die Chefin hat den Bossvater ausgeschimpft, weil er sich nicht an ihre Regeln gehalten hat, wonach die Rudelführer immer zuerst was zu essen bekommen. Weil der Bossvater so gutmütig ist, hat er uns beiden Mädels ein paar ganz schmackhafte Rollis zukommen lassen. Doch als die Chefin das gesehen hat, wurde sie total sauer und hat ihn richtig angebrüllt. Dabei war genügend von dem Zeug da. Ich hab's genau gesehen, sie hätte ohne weiteres sich ein paar Rollis aus der Schachtel holen können, aber nein, es mussten ausgerechnet die sein, die wir soeben verspeist hatten. Es ist schon schlimm mit uns Hunden und Menschen. Immer will der oder die andere das haben, was man gerade selber hat. Und am schlimmsten wird's, wenn man das Leckerli schon geschluckt hat. Da kann es in unserem Rudel zu richtigen Rauferein kommen. Mir war bislang nur nicht klar gewesen, dass auch die Chefin so futterneidisch ist. Egal, so arg lang sind wir ohnehin nicht dort geblieben, weil der Boss es nirgends länger als zwei Stunden aushält, wie die Chefin immer meint.
Am anderen Tag, bald nach dem morgendlichen Spaziergang, schleppte die Chefin einen riesigen Karton in die Wohnung und packte ganz tolle Spielsachen aus. Zuerst machte sie aus so grünem Plastikzeug einen Baum, der aussah, wie so ein richtiger Tannenbaum. Dann hängte sie allerlei glitzernde Sachen, Lichterkerzen und Glaskugeln an den Baum und nannte ihn Weihnachtsbaum. Wir mussten ganz vorsichtig drum herum schleichen, weil ein lustiges Schwanzwedeln jetzt viel zu gefährlich war. Peng, und schon waren mehrere Glaskugeln kaputt gegangen, wofür es natürlich Schimpfe gab. Ich weiß auch nicht, wir konnten noch so vorsichtig sein, dennoch schafften wir alle paar Tage eine Kugel. Mal war's der Ari, mal die Lara, mal ich. Nur Tante Kyra hat keine kaputt gemacht, weil sie ihren Schwanz immer so komisch nach oben trägt, fast wie eine Wildsau. Kyra hat dafür andere Sachen geliefert. Tante Kyra erklärte uns auch, was der ganze Zinnober sollte. Es ging darum, ein Fest zu feiern. Es ist das Fest, das die Menschen Weihnachten nennen, und von dem Onkel Ari in seiner Geschichte schon erzählt hatte. „Mal sehn, ob wir diesmal auch wieder ein paar Leckerein extra bekommen“, meinte er und erzählte dann noch einmal von seinem ersten Weihnachten in Kaltland ein Jahr zuvor, als er eine riesige Extrawurst bekommen hatte, von der ihm fast schlecht geworden war. Tante Kyra sagte: „Mit Sicherheit gibt's was Feines, schon deshalb, weil der Boss zu Weihnachten immer was Feines kocht. Und davon bekommen wir garantiert was ab“. Da freuten wir uns natürlich auf das Weihnachten, und was immer damit noch kommen würde. Und Weihnachten kam.
An dem eigentlichen Weihnachten-Tag, ich glaube die Menschen nennen ihn Heiligabend, verschwanden Chefin und Boss erst mal zu den Chefineltern und ließen uns mal wieder für eine Weile allein. Da wir mit unserem feinen Gehör natürlich sehr genau mitbekommen haben, dass sie irgendwo im Haus waren und redeten, entschlossen wir vier gemeinsam diesmal friedlich zu bleiben, nicht zu jaulen und nichts anzustellen und mal abzuwarten, was wohl weiter passieren würde und ob Tante Kyras Versprechungen noch wahr werden würden. Sie wurden es. Es dauerte zwar einige Zeit bis unsere beiden Menschen wieder zu uns runter kamen, dann aber gab es für jeden ein richtiges Weihnachtsgeschenk, nämlich einen eigenen Ring Fleischwurst und sogar noch Reste vom Weihnachtsessen der Menschen. Ich weiß, jetzt werden wieder irgendwelche Hundekenner protestieren, weil wir „Menschenfutter“ essen, und das sei doch für uns Hunde ungesund. Absoluter Quatsch! Tante Kyra kennt sich hier ganz genau aus um nicht zu sagen, sie hat über den Boss einen Fernkurs in Hundeernährungslehre abgeschlossen. Wir Hunde können und dürfen fast alles fressen, und Menschenfutter ist allemal viel besser, als das meiste, was als fertiges Hundefutter in den Supermärkten verkauft wird. Tante Kyra sagte immer, seit sie Menschenfutter aß, war sie kerngesund. Vorher als es immer nur Hundefutter gab, war sie dauernd krank und musste ständig zum Tierarzt, Spritzen bekommen und teures Spezialfutter essen, von dem sie sogar noch kränker wurde. Also, wir haben uns die Würste schmecken lassen und die Reste vom Fisch auch noch, und keinem ist schlecht geworden. Ich hab so bei mir gedacht: „Warum machen denn die Menschen Weihnachten nicht öfters?“.
Der Tag nach Weihnachten hieß aber auch wieder Weihnachten, also machen sie Weihnachten doch mehrmals, die Menschen. Die wissen also doch was gut ist. Nun, am Tag nach Weihnachten kamen die Bosseltern, Oma Gerda, eine von Steffis Omas aus Aulendorf und ein Onkel Willi, den wir auch schon ein paar Mal gesehen hatten. Auch die Chefineltern kamen, natürlich alle erst abends, weil der Boss fast den ganzen Tag gebraucht hat um ein besonderes Essen zu brutzeln mit großen Brotfladen, verschiedenem Fleisch und Gemüse. Sie nannten es „eriträisches Essen“, und es musste mit den Fingern gegessen werden, so ohne Messer und Gabel, wie in der Sinaiwüste am Lagerfeuer. Blöderweise haben sie das Essen aber auf dem Tisch serviert, sonst hätten wir den Menschen mal gezeigt, wie man es sogar direkt mit dem Maul essen kann, und das mit noch viel größerer Geschwindigkeit. Weil sich aber die Chefineltern, der Onkel Willi und der Bossvater ein wenig vor dem „Mit-den-Fingern-Essen“ gegraust haben und die Omas, Chefin und der Boss als Folge des nachmittäglichen Kaffee und Kuchens nur eine beschränkte Aufnahmekapazität hatten, blieb am Ende noch jede Menge für uns Hunde übrig, so dass wir ihnen letztlich doch zeigen konnten, wie man richtig gut und schnell isst. Papps, war ich hinterher satt!
Und Weihnachten war immer noch nicht zu Ende. Es gab noch einen Tag Weihnachten. Diesmal fuhren wir fort nach Aulendorf zur anderen Oma, die eine haben wir natürlich auch wieder besucht, und Oma Gerda begleitete uns. Auf der Strecke nach Aulendorf lag an manchen Stellen Schnee, doch längst nicht so viel wie wir vorher schon bei den Bosseltern gesehen hatten. Es wurde dennoch ein richtiger Winterausflug mit Vesperpause und Schneespaziergang. Wir bekamen diesmal zwar nur ein paar Hundekekse, aber besser als nichts.
Tante Kyra erzählte auf der ganzen Strecke von ihren früheren Weihnachten. Die meisten Weihnachten müssen wohl recht langweilig gewesen sein, immer nur so mit viel Essen, natürlich hauptsächlich für die Menschen, keine richtigen Abenteuer, weil der Boss und Kyras frühere Chefin immer zu Weihnachten arbeiten mussten. Doch dann war sie einmal Weihnachten mit Kamelen und Beduinen unterwegs in der Wüste, und das muss echt stark gewesen sein. Ich kann's mir so richtig vorstellen wie irgendwo in der Wüste so ein geschmückter Weihnachtsbaum steht, mit Lichtern und bunten Glaskugeln, die im Wüstenwind wackeln. Bei so was schauen die Kamele garantiert ganz schön blöd. Kyra hat erzählt, dass da tatsächlich so ein Typ einen Mini-Weihnachtsbaum dabei hatte und echte kleine Kerzen, die sie am Abend angezündet haben, und es gab ein großes Essen am Lagerfeuer und Kyra hat ganz arg viel davon abbekommen. Jedenfalls war mir inzwischen schon klar geworden, Weihnachten ist ein Fressfest für die Menschen, und sie verschenken auch nur deshalb so viel, weil sie selber viel geschenkt bekommen wollen, hauptsächlich zum Essen. Damit haben sie auch gleich die Entschuldigung für die zugenommenen Kilos hinterher, weil sie ja nichts dafür konnten und nur wegen Weihnachten essen mussten. Ich meine ja nur, aber mir wäre es ziemlich egal, wenn ich zu Weihnachten fett würde, und wenn dauernd Weihnachten wäre, würde ich eben fett bleiben. Klar, das hat auch so seine Nachteile. In Orangenland hatte ich mal einen Hund getroffen, der war so fett, dass man nicht mehr feststellen konnte, ob er ein Männlein oder ein Weiblein war, und er konnte kaum noch laufen, weil sein Bauch auf dem Boden schleifte. Nein, so fett wollte ich natürlich nicht werden, aber so ein bisschen wegen Weihnachten, ach, das hätte ich auch schnell wieder weg trainiert.
Bei den Omas in Aulendorf gab's nichts Neues. Die eine hatte wieder für jeden einen Brocken Schwarzwurst übrig, die andere für jeden eine Saitenwurst. Das ist schon fein und recht, aber wenn ich's mir recht überlege, ist es die lange Autofahrerei dorthin eigentlich nicht wert. Eine schöne Wanderung mit Chefin und Boss oder gar eine Radwanderung mit der Chefin wären mir persönlich lieber gewesen und Lara auch, denke ich. Ich fragte Onkel Ari nach seiner Meinung zu diesem Thema. Er stimmte mir bedingungslos zu. „Zu wenig Action hier“, meinte er. Nur Tante Kyra war's so recht. „Ich fahr nun mal gerne Auto und bin natürlich hier im Bus fast zuhause“, erklärte sie uns. „Und euer Herumjagen und Rennen kann ich ohnehin nicht mehr mitmachen mit meinen alten Knochen. Ich finde es bei beiden Omas ganz gemütlich. Die erinnern mich immer an die Omachefin von früher“. Auf dem Rückweg machten unsere Menschen bei MacDonny halt. Kyra meinte, nach all dem feinen Weihnachtsessen brauchte die Chefin mal wieder einen Altölkick mit Pommes. Der Boss hat bei dieser Gelegenheit einen Hamburger per Los gewonnen. Den bekamen wir, und ich muss sagen, uns hat er sehr gut geschmeckt.
Ja, und dann war Weihnachten vorbei. Zwar blieb der Weihnachtsbaum noch ein paar Tage stehen, aber man spürte ganz genau, jetzt bereiteten sich die Menschen auf etwas ganz anderes vor. Chefin und Boss fuhren des Öfteren weg zum Einkaufen. Abends kamen mehrfach Gäste zu Besuch, Gäste, die Tante Kyra und Onkel Ari von der Wüste her kannten, weil sie zusammen mit Kamelen unterwegs gewesen waren. Da saßen unsere Menschen und die Gäste zusammen, tranken Wein und erzählten alte Geschichten, in denen auch Tante Kyra und Onkel Ari vorkamen. Die Menschen waren längst nicht mehr so feierlich wie vor und an Weihnachten. Jetzt waren sie wieder so wie sonst oder vielleicht sogar lustiger und nervöser als sonst, als ob große Ereignisse bevor stünden. Und tatsächlich, ein paar Tage später gab's schon wieder ein Fest, auch wenn diesmal nur Oma Gerda zu Besuch kam. Der Boss hatte mühsam in einem kaputten Minibackofen Pizza gebacken, die irre gut roch, von der wir aber nur einen ganz kleinen Happen abbekamen. Doch das war nicht das Entscheidende. Richtig deftig wurde es dann mitten in der Nacht. Ich hatte es mir zusammen mit Lara schon eine Weile in Onkel Aris Bett bequem gemacht – der Boss hat deshalb mal gesagt, ich sei ein Bequemhund, da scheuchte uns Tante Kyra auf und meinte: „Los, jetzt gehen wir raus zur Silvesterknallerei!“ Und dabei hüpfte sie ganz aufgeregt um den Boss herum, während Onkel Ari den Schwanz einklemmte und die Ohren anlegte und immer wieder „Muss das sein? Muss das denn wirklich sein?“ murmelte. Da Lara und ich ja so richtig unbedarft waren, haben wir natürlich nicht kapiert, was das sollte und sind wie Kyra ganz aufgeregt um die Chefin herumgehüpft. „Nichts wie raus zum Nachtspaziergang“, meinte Lara und lachte und freute sich. Doch kaum waren wir draußen, verging ihr schnell das Lachen. Ich weiß noch ganz genau, es hat so ein wenig geregnet oder vielmehr genieselt, und dann fing es plötzlich überall um uns herum an ganz arg zu knallen und am Himmel gab's farbiges Feuer und irre Blitze. Zuerst hatten Lara und ich schon ein wenig Angst, vor allem weil wir spürten, dass sich Onkel Ari äußerst unwohl fühlte und sich am liebsten irgendwohin verkrochen hätte. Als wir dann aber sahen, dass Chefin und Boss ganz begeistert waren von der Knallerei und den Blitzen und auch Tante Kyra mit ihren ewig tränenden Augen schwanzwedelnd zum Himmel starrte, fingen auch wir an begeistert zu sein. Bei einem ganz großen weißen Blitz, der schließlich in einen roten und grünen Funkenregen überging, sagte ich vor lauter Begeisterung sogar „Wow!“, worauf mich Onkel Ari strafend anschaute und Lara ganz verlegen in eine andere Richtung grinste. „Onkel Ari hat vor Blitz und Donner Schiss“, erzählte uns Tante Kyra. „Er hat da früher mal was erlebt, drum mag er das Krachen nicht, aber er soll's euch mal selber erzählen!“ Ari schaute richtig dankbar in Kyras Richtung, hatte sie doch soeben seine Ehre gerettet. „Ja, ja, ja“, stotterte er. „Ich werde euch dazu was erzählen, und dann werdet ihr das Blitzen und Krachen mit anderen Augen sehen!“ Nun, ehrlich gesagt, ich war schließlich ganz froh, als wir wieder in unsere warme Wohnung zurückgingen. Der Lärm hatte mich fast taub gemacht und noch schlimmer war der Gestank, der sich durch die Feuer überall in der Luft ausbreitete. Boss und Chefin hatten vorher noch „Prost Neujahr“ zu den Chefineltern gesagt und Kyra meinte, „Puh, wieder ein Jahr rum. Dieses Jahr werde ich neun, da bin ich schon ganz schön alt jetzt. Und ihr werdet auch bald Geburtstag haben ihr Mädels!“, und dabei schaute sie uns an. Au ja, Geburtstag! Das ist was Tolles! Mir fiel gleich Oma Gerdas Geburtstag ein, den wir in einem feinen Restaurant gefeiert hatten. Ich stupste Lara an und flüsterte ihr ins Ohr: „Vielleicht gehen wir dann auch ins Restaurant zum Feiern!“ und Lara meinte: „Ja klar, ins Hunderestaurant“, und ich wusste nicht ob sie es ernst meinte oder mich veräppeln wollte.
Jedenfalls war jetzt ein neues Jahr angegangen. Ich konnte mir nichts darunter vorstellen, doch Kyra meinte, dass die Menschen das brauchen um zählen zu können, wie alt sie werden. Zuerst sah für uns aber alles genau so aus wie im alten Jahr. Morgens fingen Lara und ich so gegen halb neun an Rabatz zu machen, zuerst um Onkel Ari aufzuwecken, dann um Tante Kyra ein wenig zu ärgern. Das mit Tante Kyra machte Sinn, denn sobald die mal einen ihrer muffigen Knurrlaute von sich gab, regte sich der Boss und sagte jedes Mal „Ruhe, verdammt noch mal, wir wollen noch eine Weile schlafen“, was soviel heißt wie: „Wenn ihr jetzt noch eine Weile so weitermacht, habt ihrs geschafft, und wir stehen auf!“ und darum machten wir weiter. Die Chefin stellte sich meist noch eine Viertelstunde tot, konnte sich schließlich aber unserer morgendlich guten Laune doch nicht entziehen und ließ irgendwann einen entnervten Brüller raus: „Jetzt hab ich aber die Nase voll von euch. Könnt ihr keine Ruhe geben?“ was bedeutet: „Jetzt stehen wir gleich auf“. Und das taten sie dann auch. Der Boss schlurfte meist voraus aufs Klo, Onkel Ari begleitete ihn regelmäßig dorthin. Warum, das versteht eh keiner. Anschließend begab sich der Boss unter die Dusche, freiwillig, was ebenfalls unverständlich ist, und anschließend schlurfte die Chefin aufs Klo, während Tante Kyra Onkel Ari dort ablöste und nun den Boss unter der Dusche bewachte. So eine viertel Stunde später gab's dann Frühstück. Der Boss trank wie immer den widerlichen Kaffee, die Chefin meist nichts oder nur einen Orangensaft. Während unsere Menschen sich regelmäßig schon morgens was zu essen reinstopften, gab's für uns inzwischen nur noch einen Hundekeks. Nur Tante Kyra bekam ab und zu vom Boss ein Stück Butterbrot, weil sie es so seit vielen Jahren gewöhnt war, sagte der Boss immer.
Ja, und danach ging' s ab zum Morgenspaziergang. Bei gutem Wetter machte sich die Chefin mit Onkel Ari, Lara und mir mit dem Fahrrad extra auf den Weg, bei schlechtem Wetter machten wir einen gemütlichen Spaziergang zusammen mit Tante Kyra und dem Boss. Leider war die meiste Zeit schlechtes Wetter, und ein paar Mal war das Fahrrad sogar eingefroren. Nach dem Spaziergang folgte eine Weile faulenzen. Chefin und Boss gingen derweilen oft zum Einkaufen und brachten dann irgendwelche Leckereien mit. Dann war schon wieder Mittagszeit, zu der die Chefin immer was zu futtern brauchte, während der Boss regelmäßig betonte, er esse nichts um dann doch was zu essen. Es folgte meist noch eine Faulenzperiode bis zum Nachmittags-Spaziergang so gegen 5 Uhr, meist kurz, weil kalt und regnerisch, manchmal auch länger, wenn eiskalt und schneereich. Überhaupt, an einigen Tagen lag richtig viel Schnee vor unserem Haus. Kyra war nicht sehr begeistert vom Tiefschnee. Sie schob sich wie ein Bulldozer durch den Schnee, und das war anstrengend. Auch Onkel Ari machte keinen sehr glücklichen Eindruck, weil er ständig wunde Füße bekam. Er ist halt ein sehr sensibles Onkelchen. Nur Lara und mir hat's riesig Freude gemacht. Wir hatten bald eine eigene Schnee-Sprung-und-Hüpftechnik entwickelt und jagten durch den Schnee, dass es nur so staubte, und bei alle dem Herumgetolle war's uns gar nicht kalt.
Die Abendessenszeit war auch unsere Futterzeit. Ich konnte es fast nicht erwarten bis die Chefin oder der Boss unser Futter machten und gab schon vorher immer meinen „Hab-Hunger-Beller“ von mir. Zuerst aßen jedoch unsere Menschen, was auch Sinn machte, denn so konnte das, was übrig blieb, in unseren Näpfen landen. Natürlich blieb manchmal gar nichts übrig. Dann gab's eben echtes Hundefutter, trocken oder aus der Büchse. Das konnte man schon essen, auch wenn Tante Kyra und Onkel Ari meist die Nase rümpften. Onkel Ari machte das ohnehin nur, weil er damit zeigen wollte, dass er wie Kyra von edlerem Geblüt war und keinesfalls auf dem gleichen Niveau stand wie wir einfachen Orangenhainhunde. Allerdings bekamen wir ab und zu auch ein Büchsenfutter, das selbst Tante Kyra ganz ausgezeichnet schmeckte. Das hatten die Gäste mitgebracht, die Tante Kyra und Onkel Ari von der Sinai her kannten. Das Futter hieß „Witwe Bolte.“ oder so ähnlich (hoffentlich mach ich damit keine Schleichwerbung!). Na ja, und nach dem Abendessen durften wir dann eine Weile fernsehen, wobei wir alle meist einschliefen wegen des langweiligen Programms. Nur Tante Kyra schaute sich immer alles an, besonders die Nachrichtensendungen, weil sie ja auf dem Laufenden sein wollte. Mir war's egal, ob ich das alles mitbekäme, was die im Fernsehen sagen. Ich konnte ja zur Not immer noch Tante Kyra fragen, wenn mich wirklich mal was interessierte. So war also unser Tagesablauf, ziemlich gleichmäßig, was gut war, denn damit ersparten wir uns Abwechslungsstress, manchmal aber auch recht langweilig.
Bis ich dann zur Hundeschule musste. Eines Morgens meinte die Chefin irgendetwas würde mir noch fehlen an meiner Bildung, ich müsste also zur Schule gehen. Ohne einen Kommentar meinerseits zuzulassen, steckte sie mich nach dem üblichen Spaziergang ins Auto und fuhr mit mir durch den Schneematsch davon, irgendwohin. Ich konnte es nicht sehen, weil die Autoscheiben total dreckig waren. An einem großen Platz hielt die Chefin an. Das Gelände sah fast so aus wie bei dem Fußballplatz in der Nähe unserer Wohnung. Nur waren hier allerlei merkwürdige Geräte aufgestellt, und einige Menschen mit anderen Hunden waren auch schon da. Einige der Hunde waren groß, größer als ich und furchtbar wild. Es gab auch kleine, manche frech, manche ängstlich (ich hatte auch ein wenig Angst.). Alle hüpften und zogen an ihren Leinen, so dass die Menschen der größeren Hunde ganz unkontrolliert hin und her springen mussten. Der Hundelehrer kam etwas später. Erst hielt er mal einen Vortrag darüber, wie dumm wir doch alle seien und wie wichtig es wäre, dass wir möglichst viel von ihm lernten. Danach führte er mit seinem Musterhund vor, wie wir zu gehen hätten, wie „Sitz!“ und „Platz!“ ginge, was „Komm her!“ und „Stop!“ bedeutete usw. Das war mir alles viel zu blöd. Das konnte ich doch längst alles, und ich ging zur Chefin hin und fragte sie, ob wir nicht zusammen eine oder zwei Klassen überspringen könnten. Leider war das nicht möglich, so dass ich noch einen Samstag mit den ungebildeten und wilden Junghunden verbringen musste, ehe es dann endlich an die höheren Studien ging. Letztere haben mir richtig Spaß gemacht, und als ich Lara davon erzählte, wurde die ganz neidisch. Da durfte man über Hindernisse klettern, Slalom laufen mit und ohne Chefin und mit und ohne Leine, durch Tonnen kriechen und auf wackelige Gestelle springen. Ich hatte mit all dem keine Probleme, denn all das hatten wir schon im vergangenen Jahr zuhause in Orangenland geübt. Also erntete ich nur Lob von allen Seiten, was meinem Selbstbewusstsein sehr gut tat.
Apropos Orangenland! Tante Kyra meinte nach ein paar Wochen, es wäre jetzt wieder an der Zeit in wärmere Gefilde zu fahren. Onkel Ari stimmte ihr bei und erklärte, das wäre wohl letztes Jahr auch so die Zeit der Abfahrt gewesen. Also Lara und mir machte das Herumrennen im Schnee Spaß. Wir würden gerne noch eine Weile hier bleiben. Aber als der Boss in den nächsten Tagen anfing, die Sachen zusammenzupacken, und da wussten auch wir, es würde bald wieder losgehen. Vorher kamen nochmals die Oma Pauline aus Aulendorf und der Onkel Willi zu Besuch. Zusammen mit Oma Gerda gingen alle einkaufen, nur der Boss blieb bei uns. Am Abend saßen alle bei uns zusammen und freuten sich. Die Omas, über ihre tollen Einkäufe, der Onkel Willi und die Chefin darüber, dass die Omas sich freuten, der Boss darüber, dass die Chefin happy war und wir, weil alle in bester Stimmung waren. Chefin und Boss machten mit der Aulendorfer Oma aus, dass wir sie am Samstag auf unserem Weg nach Italien besuchen würde. Aha, Samstag würde also die Abfahrt sein. Ich erzählte es Lara, die ging damit zu Onkel Ari, aber der wusste es mal wieder schon von Kyra. Komisch, die alte Tante liegt meistens unbeteiligt herum und bekommt trotzdem alles mit.
Doch es sollte sowieso alles ganz anders kommen. Als am Donnerstagnachmittag das Telefon klingelte, hatte ich schon so ein komisches Gefühl. Ich weiß nicht, ob es euch manchmal auch so geht, so eine Ahnung, als ob irgendetwas nicht stimmte. Der Boss ging an den Apparat, und ich sah sofort an seinem Gesicht, dass wirklich etwas faul war. Der Onkel Willi rief an. Die Oma hatte einen Schlaganfall. Als der Boss das der Chefin erzählte, dachte ich zuerst noch, die Oma hätte den Onkel Willi verdroschen, doch dann hab ich kapiert, dass das eine Krankheit sein muss, die ziemlich schlimm ist. Kyra hat es mir später genauer erklärt. Da verstopfen irgendwelche Blutadern im Kopf oder es blutet im Gehirn, und manche Menschen sterben deswegen. Au Backe! Damit war klar, keine Abreise nach Orangenland. Dafür fuhren wir gleich am anderen Tag in das Krankhaus, in dem die Oma inzwischen wohnte. Die Chefin und der Boss ließen uns im Wohnmobil auf dem Parkplatz des Krankenhauses zurück. Sie schienen arg beunruhigt, weil sie ganz schnell davon gingen. Der Boss hat sogar vergessen, die Heizung anzustellen, so dass es uns bald recht kalt wurde trotz der gemütlichen Matratze im Bus.
Als unsere Menschen nach ein paar Stunden wiederkamen, sahen sie viel zuversichtlicher aus. Offenbar ging es der Oma doch nicht so schlecht wie vermutet. Ich hatte mit Lara schon darüber gestritten, wer von uns beiden auf der langweiligen Rückfahrt neben Tante Kyra am Fenster liegen dürfte, doch dann fuhren wir gar nicht zurück, sondern in Omas Wohnung, wo Onkel Willi auf uns wartete. Onkel Willi, Chefin, Boss und ich gingen zusammen essen, zum Italiener. Die anderen Hunde mussten im Bus warten. Ha, tat mir das gut. Wahrscheinlich war das die Belohung für meine guten Schulnoten. Und nach dem Essen fuhren wir immer noch nicht nach Hause, sondern blieben in Omas Wohnung über Nacht. Das war toll. Die Chefin schlief auf dem Sofa, der Boss mit uns zusammen auf dem Boden. Er hat sich ein paar Matratzen hingelegt, auf denen schließlich er und Lara und ich zu seinen Füßen und Tante Kyra am Kopfende schliefen. Es war fast so wie in der Wüste. Wir Hunde lieben es, wenn unsere Menschen mit uns zusammen auf dem Boden schlafen. So gehört es sich für ein Rudel. Diese doofen Extrabetten der Menschen sind nichts als ungerechte Privilegien der Stärkeren. Gleiches Recht für alle im Rudel! Die nächsten 3 Wochen waren in ständiges Hin und Her zwischen Omas Krankenhaus und zuhause. Mal fuhr Oma Gerda mit uns, mal fuhren wir alleine. Schließlich zog die kranke Oma in ein anderes Krankenhaus um, weil es ihr wieder besser ging. Sie durfte inzwischen draußen spazieren gehen und hat uns in unserem Wohnmobil besucht, das der Boss in der Nähe des neuen Krankenhauses geparkt hatte. Sie sah wirklich ganz normal aus, nur schien sie noch ein wenig Sprachschwierigkeiten zu haben, denn sie konnte nicht „Lucy“ sagen und auch nicht „Lara“. „Kyra“ und „Ari“ ging dagegen ganz gut. Na ja, unsere Namen sind wohl etwas komplizierter. An diesem Besuchstag war in der Stadt ein großes Fest, das laut Kyra Fasnet heißt. Die Menschen zogen in langen Aufmärschen durch die Strassen und hatten sich als ganz merkwürdige Figuren verkleidet. Dazu machten sie mit sogenannten Musikinstrumenten einen höllischen Lärm, so dass es Unsereins ganz angst und bang wurde. Das war wieder so eine Erfahrung menschlicher Unvernunft. Was denen alles so einfällt! Man muss sich mal vorstellen, wir Hunde würden uns als Katzen, Vögel oder Menschen verkleiden und so durch die Strassen ziehen. Und sei es auch nur einmal im Jahr, ich glaube die würden uns alle in Irrenanstalten einsperren. Aber da sieht man halt, dass die Menschen die privilegierte Rasse sind. Die dürfen auch draußen rumlaufen, wenn sie irre sind.
Weil die Oma jetzt wieder fast gesund war, ging's schließlich doch los mit unserer Reise nach Orangenland. Oma Gerda fuhr mit uns. Oma Pauline besuchten wir auf der Fahrt noch einmal in der Klinik. Sie musste noch für eine Woche dort bleiben, während wir weiter zum altbekannten Brennerparkplatz fuhren. Es war wieder eine Gespann-Fahrt. Die Chefin saß mit Oma Gerda und Onkel Ari im Smart und fuhr voraus. Tante Kyra, Lara und ich fuhren mit dem Boss zusammen im Bus hinterher. Wir waren schon gegen sieben Uhr abends am Brennerparkplatz. Wie immer gingen unsere Menschen dort essen, diesmal durfte Ari mit. Später wurde Oma Gerda in ein computergesteuertes vollautomatisches Hotel eingewiesen, aus dem sie erst am nächsten Morgen mit meiner Hilfe wieder befreit werden konnte. Dafür durfte ich dort zum Frühstück bleiben und hab sogar ein halbes Butterbrötchen abgekriegt. Unsere Reise ging nach dem Frühstück weiter zu einem italienischen Hafen. Dort wartete bereits unser Superfährschiff auf uns. Wie immer fuhren wir an Bord und mussten den Rest des Tages, die Nacht und den nächsten Vormittag hauptsächlich im Auto verbringen. Jetzt war es an der Zeit, Onkel Ari zum Erzählen seiner Blitz- und Knall-Geschichte zu bewegen. Erst wollte er nicht. Wahrscheinlich genierte er sich ein wenig. Nachdem er sich eine Weile geziert hatte, fing er dann doch an zu erzählen, zumal Chefin und Boss mit Oma Gerda irgendwo an Bord unterwegs waren. Wahrscheinlich schlürften sie in einer der Cafeterias einen scheußlichen Kaffee.
„Nun“, begann Onkel Ari, „Ich hab euch ja mal erzählt, wie ich früher in Orangenland an einem Hafen gelebt hatte und von dort wegziehen musste, weil die Menschen einen neuen Parkplatz bauten. Und ich hab euch auch erzählt, dass ich anschließend eine Weile als Baustellenhund gearbeitet habe. Ja, und dabei hatte ich kurz hintereinander zwei Erlebnisse, die mich so erschreckt haben, dass ich Blitz und Donner auf ewig hasse. Es war im Frühjahr vor zwei Jahren. Die eine Baustelle existierte noch nicht sehr lange. Es sollten 5 Häuser gebaut werden. Von den meisten Häusern sah man noch gar nichts, nur die Betonflächen vom Erdgeschoss und ein paar Betonpfosten drum herum. Nur bei einem der Häuser war das unterste Geschoss schon so weit fertig, so dass man zumindest darin übernachten konnte, wenn es regnete und man ein Dach über dem Kopf brauchte. Also, es regnete in Strömen, und ich hatte mich auf einer der wenigen trockenen Stellen in diesem Haus auf einem Stück Karton zusammengerollt und wollte schlafen. Da fing es draußen an zu blitzen und zu donnern. Es war nicht weiter beunruhigend, denn Gewitter hatte ich schon viele erlebt. Neben dem Haus, in dem ich Unterschlupf gesucht hatte, lag ein großer Haufen Eisengitter und Eisenstangen, die die Menschen brauchten um Betonsäulen zu bauen. An zwei Ecken des Hauses waren die Eisenstangen der Betonsäulen schon zusammengebunden und standen wie ein hoher verrosteter Zaun da. Plötzlich zuckte ein Blitz vom Himmel und traf geradewegs eine dieser Eisenstangensäulen, sprang von dort zur nächsten über und schließlich auf den Eisenhaufen am Boden. Dem Blitz folgte ein ohrenbetäubender Donner. Es roch ganz widerlich nach Feuer und meine Haare standen mir senkrecht vom Körper ab. Natürlich war ich sofort aufgesprungen und wollte davon rennen, aber das mit dem Blitz ging so schnell, dass ich gar nicht wusste wohin. Ich bin froh, dass ich nicht aus Panik gleich rausgerannt bin, dann hätte mich der Blitz nämlich mit Sicherheit getroffen. Ich hatte furchtbare Angst und muss zugeben, ich hab sogar vor Angst auf den Boden gepinkelt, was mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert war. Danach saß ich einige Sekunden wie betäubt da. Schließlich bin ich aber doch wie ein Pfeil davon geschossen, raus aus der Baustelle und hinein in den Schutz des nächsten Orangenhains. Ich bin lange gelaufen und habe mir in gehörigem Abstand von der Baustelle einen leidlich trockenen Platz zum Schlafen gesucht. Ich beschloss am anderen Morgen weiter zu ziehen, einen anderen Platz zu suchen, da mir die Baustelle jetzt zu gefährlich erschien. Die Sonne schien wieder. Ich brauchte die Wärme nach der kalten Nacht und ließ mir die Sonnenstrahlen auf den Bauchpelz brennen. Das tat richtig gut. Ich überlegte gerade, ob ich noch mal zur Baustelle zurück sollte, um von den Arbeitern ein oder zwei Vesper zu stehlen. Ich hatte schließlich Hunger, da knallt es ganz in meiner Nähe, fast so heftig wie in der Nacht zuvor, nur ohne Regen. Erschrocken fuhr ich auf und blickte unter den Bäumen durch in Richtung des Knalls. Da konnte ich gerade noch sehen, wie ein großer Fuchs aus dem Orangenhain über das nahegelegene Feld rannte. Es knallte noch mal und patsch, der Fuchs überschlug sich und blieb tot liegen. Und dann sah ich erst die beiden Menschen, die mit ihren Gewehren am Rand der Wiese standen und geradewegs zu mir unter die Orangenbäume schauten. Ich dachte ehe die auch auf mich schießen hau ich lieber ab. Natürlich rannte ich in die andere Richtung. Doch musste ich auch dort eine Wiese überqueren, wenn ich zum nächsten Orangenhain wollte. Und unglücklicherweise standen dort ebenfalls zwei Menschen mit Gewehren. Menschen mit Gewehren sind Jäger oder Soldaten. Beide Arten sind saumäßig gefährlich, weil unberechenbar. Nun, ich hab diese Menschen in meiner Panik einfach zu spät bemerkt, denn kaum rannte ich über die Wiese, da knallten sie auch schon hinter mir her, und eine der Kugeln zischte ganz knapp neben mir ins Gras. Ich rannte was ich konnte im Zickzack über die Wiese, bis ich endlich unter den Bäumen wieder einigermaßen Schutz fand. Ich wollte mich gerade ausruhen, da sah ich alle vier Menschen über die Wiese rennen. Nun hatte ich endgültig die Schnauze voll. Ich rannte bis ich wirklich nicht mehr konnte, immer gerade aus über Wiesen, durch zwei Bäche, durch mehrere Olivenhaine und über einige Strassen, ehe ich schließlich in die Gegend kam, in der wir jetzt wohnen und die Baustelle sah, von der ich euch schon mal erzählt habe. So, und nun versteht ihr hoffentlich, dass Blitz und Donner und Knallen nicht mein Fall ist.“
Mittlerweile war es Abend geworden. Ari war mit seiner Erzählung am Ende und Chefin und Boss kamen wenig später zurück vom Restaurant und brachten wie immer etwas zum Essen mit, das wir gierig in uns hineinschlangen. Nach einem kurzen Pinkelspaziergang mit Boss in der Garage gingen wir schlafen. Ich hab gepinkelt wie eine Weltmeisterin, gleich neben einem riesigen LKW-Rad, denn Onkel Aris Geschichte war so aufregend, dass ich inzwischen dringend musste. Als wir zurückkamen hatte die Chefin das Bett aufgebaut. Unsere Koje war wie immer unter dem Menschenbett, und Tante Kyra schlief ohnehin lieber auf dem Boden. Am anderen Tag waren wir mittags in Orangenland. Der Boss fuhr den Bus von Bord. Die Chefin war schon vorher auf dem Schiff verschwunden um unseren Smart zu suchen. Wir warteten im Hafen auf sie, doch sie kam und kam nicht. Endlich nach einer dreiviertel Stunde rief sie an und erklärte uns, sie sei schon mal vorausgefahren zu einer Tankstelle. Die ganze blöde Warterei umsonst! Aber nun, nichts wie hinterher. Bald sahen wir unseren geliebten Smart nebst Chefin an der Tankstelle stehen. Onkel Ari, Lara und ich durften bei der Chefin mitfahren, während Oma Gerda und Tante Kyra mit dem Boss im Bus fuhren. Ja, und zwei Stunden später waren wir dann wieder zuhause, holten die Schlüssel ab und freuten uns zuerst mal mächtig, weil alles so wie immer aussah. Nur Rocky, unser Nachbarhund war inzwischen zu einem recht dicken Brocken herangewachsen.