Als ich gerade zusammen mit Lara an dem einem trockenen Regenwurm kaute, den wir diesen Morgen gefunden hatten, sahen wir sie in der Ferne: Zwei Hunde und zwei Menschen, alle riesig groß, besonders die Menschen. Sie kamen zielstrebig näher. Der eine Hund, ein schlanker, brauner, ziemlich großer Rüde, kam so schnell näher, dass wir uns nicht mehr verstecken konnten. Ich wusste von früher wie gemein fremde Hunde sein konnten und rannte deshalb laut jaulend und so schnell ich in meinem schwachen Zustand konnte in Richtung Flussbett. Lara dagegen lief den Menschen doch glatt schwanzwedelnd entgegen. Ich hatte schreckliche Angst, die Hunde und die Menschen würden Lara zerfleischen.
Und auch Lisa stand auf und schien die Fremden begrüßen zu wollen. Mir waren die beiden Menschen mehr als verdächtig, aber noch verdächtiger waren mir die beiden Hunde. Sie waren so still, kläfften nicht, knurrten nicht, schnüffelten nur ein wenig an Lara und Lisa und schauten dann zu mir. Einer der beiden Hunde war völlig anders als alle Hunde, die ich jemals zuvor gesehen hatte in meinem kurzen Leben. Es war eine Hündin, das konnte ich aus der Ferne sehen und riechen, weil sie sich zum Pinkeln hinsetzte, und sie war wie Lisa gänzlich schwarz. Nur hatte sie ein so ungeheuer dickes Fell, so dass man denken konnte, sie sei riesig fett. Außerdem hatte sie eine total schwarze Zunge. Zu alledem roch sie auch noch völlig anders als wir und die Hunde, die ich früher kannte. Doch was am merkwürdigsten war, und das war schon fast lustig: Sie wich vor Lara und Lisa zurück. Nicht, dass es so aussah als ob sie Angst vor uns Kleinen hätte, eher als ob sie ausdrücken wollte: „Was sind das denn für verhungerte, verdreckte Gestalten, igitt!“ Als ich merkte, dass auch die beiden Menschen Lara und Lisa nichts taten, sondern sich zu ihnen hinunter beugten und sie sogar streichelten, nahm ich all meinen Mut zusammen und fing an mit dem Schwanz zu wedeln und in höflich unterwürfiger Haltung zu ihnen hinzulaufen. Vielleicht hatten sie ja was zum Fressen dabei. Aber dem war nicht so. Sie hatten natürlich nichts zum Fressen und nichts zum Trinken. Sie schenkten uns zwar ein wenig Beachtung, doch dann marschierten sie zügig weiter. Die beiden Hunde voran, drehten sie sich nicht einmal mehr nach uns um. Lara meinte zwar: „Los hinterher!“, aber weil Lisa so schwach war und ich von dem bisschen Davonlaufen auch schon ganz fertig war, blieben wir doch an Ort und Stelle und legten uns mit Lisa zusammen unter den Baum, an dessen Stamm wir geschlafen hatten. Wir fühlten uns weiterhin elend, so verlassen und einsam und wimmerten leise vor uns hin und sind dann wohl eingeschlafen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Plötzlich war der braune Rüde wieder da, sprang leichtfüßig zu uns her, so schnell, dass an Flucht diesmal gar nicht zu denken war. Er wedelte ein wenig mit seinem Schwanz als er uns begrüßte und beschnupperte kurz Lara. Als er zu mir herkam fing ich gleich an loszuheulen und warf mich sofort auf den Rücken. Ich hatte wahnsinnige Angst vor dem Hund, obwohl er nicht unbedingt unfreundlich aussah. Er hatte die Frau dabei, die ihn nun zu sich rief, als sie meine Angst bemerkte. Die Frau hatte eine Tüte in der Hand, und ich roch Essen, und auch Lara und Lisa nahmen den Geruch wahr. „Sie bringen uns Futter, etwas gegen unseren Hunger“ seufzte Lara. Die Frau schüttete einen Teil des Tüteninhaltes auf den Boden.
Zusammen mit Lara machte ich mich sofort über das Essen her. Es schmeckte köstlich. Wir riefen Lisa, doch die blieb am Baum liegen. Sie war wohl zu schwach. Ich wollte sie eigentlich holen, aber wenn ich das getan hätte, hätte Lara in der Zwischenzeit allein all die guten Futterbrocken weggeputzt. Beim Fressen ist sich jeder selbst der Nächste, sagte ich mir. Trotzdem tat mir Lisa leid. Aber die Frau ging zu ihr hin und mehr so aus den Augenwinkeln sah ich, dass sie Lisa auch etwas zu essen gab. Als wir alles aufgegessen hatten, sprangen wir schwanzwedelnd zu der Frau. Vielleicht war ja noch mehr zu essen da und vielleicht wollte Lisa ja gar nichts. Aber Lisa stand auf ihren wackeligen Beinen und haute sich den Bauch voll und schaute nicht einmal auf als wir heran kamen. Die Frau streichelte uns alle drei eine Weile, dann ging wieder in Richtung der großen Straße davon. Wir fühlten uns plötzlich gut, viel besser als mit leerem Magen. Die Sonne schien wohlig warm aufs Fell. Also blieben wir liegen, machten ein Verdauungsschläfchen, obwohl Lara auch diesmal meinte, es wäre vielleicht nicht schlecht, der Frau hinterher zu laufen. Mit gefüllten Bäuchen schliefen wir ein. Ich träumte wieder von Mama und den Hunden im Hof zu Hause, von den Hühnern und von den bösen Menschen und von der guten Frau, die uns Essen gebracht hatte.
Wieder kann ich mich nicht erinnern, wie lange ich geschlafen hatte, nur dass ich einen brennenden Durst hatte als ich aufwachte. Lara saß neben mir und leckte den Stamm des Orangenbaumes ab. Lisa lag nur da und schien ganz geistesabwesend zu sein. Ich hörte in der Nähe ein merkwürdiges Zischen und Rauschen und glaubte Wasser riechen zu können. „Riecht ihr es auch“? fragte ich Lara und Lisa, wohl wissend, dass von Lisa keine Antwort zu erwarten war. „Ich glaube, da gibt es Wasser, etwas zu Trinken! Auf, lasst es uns suchen, es muss ganz nah hier sein!“ Lisa kam mühsam auf ihre Beine, Lara hüpfte vor Freude ein wenig herum, „Trinken, Durst, hab ich einen Durst“, hechelte sie, Lisa schüttelte ihren müden Kopf: „Ich kann nichts riechen, aber ihr könnt ja mal nachschauen“. Mit Lara zusammen schlüpfte ich durch ein Zaunloch in den nächsten Orangenhain und tatsächlich, da floss Wasser, es floss richtig. So, als ob zu Hause die Menschen den Wasserhahn aufgedreht hatten, spritze das Wasser aus schwarzen Rohren heraus. Wir konnten es kaum glauben, aber dann tranken wir bis uns schier schlecht wurde. „Lisa komm, Wasser“, rief ich, aber Lisa kam nicht. Mit Lara zusammen sauste ich durch das spritzende Wasser, oh es war herrlich. Doch plötzlich hörte das Wasser auf zu spritzen. Wir tranken noch ein wenig aus den Pfützen am Boden, aber bald waren auch diese versickert, und mir wurde klar, Lisa würde verdursten, weil sie nicht mit uns gekommen war. Geknickt schlichen wir zurück zu Lisa. Wir erzählten ihr von dem Wasser, doch sie hob nur den Kopf, wackelte kurz mit dem Schwanz und döste weiter. „Ich hab keinen Durst“ murmelte sie. Ihre Augen waren ganz groß. Es sah so aus, als würde sie durch uns hindurch schauen. Lara und ich leckten ihr abwechselnd das Fell, doch auch das schien ihr nicht viel zu bringen. Inzwischen wurde es schon wieder kühl, die Sonne stand hinter den großen Bäumen, die wir in der Ferne, weit hinter dem Flussbett, sehen konnten. „Sollen wir uns nicht einen anderen Platz zum Schlafen suchen?“ fragte Lara. „Und wenn die Frau mit dem Essen wieder kommt, wird sie uns nicht finden“, meinte ich. Also blieben wir an unserem Baum.
Zwei Tage vergingen. Jeden Tag brachte uns die Frau Essen. Auch heute warteten wir auf sie. Sie hatte uns morgens herrliches eingeweichtes Futter gebracht, mit richtigen Fleischstückchen. Und nun hofften Lara, Lisa und ich, dass sie auch heute Abend wieder käme. Tatsächlich, es war schon fast dunkel, da sah ich in der Ferne den braunen Hund und die Frau wieder. Diesmal saß die Frau auf einer Art zweirädrigem Auto ohne Motor und kam so verteufelt schnell daher, dass ich schon wieder Angst bekam. Das Fahrzeug war, so wie ich viel später erfuhr ein Fahrrad. Und wie immer hatte die Frau die Tüte mit Essen dabei. „Es gibt doch gute Menschen“, dachte ich mir, als wir schon wieder heißhungrig das Abendessen in uns hineinschlangen.
Auch Lisa nahm ein wenig, stand sogar auf und wedelte mit dem Schwanz. Noch während wir die letzten Brocken zwischen den Grashalmen suchten, verschwand die Frau mit dem Fahrrad so schnell wie sie gekommen war. Nach dem Essen kam wieder der Durst, aber diesmal hörte ich nirgendwo Wasser rauschen. Lisa jammerte vor sich hin, sicher hatte auch sie Durst. Ich leckte ihre heiße Schnauze ab, dann zog ich los um Wasser zu suchen. Wieder kam nur Lara mit mir. Wir rannten ziemlich tief in den Orangenhain mit den schwarzen Rohren hinein. Doch diesmal spritzte nirgendwo Wasser. Enttäuscht und müde gelangten wir schließlich an einen Weg, den wir vorher nicht gesehen hatten. Wir folgten dem Weg, denn er führte zurück in die Richtung unseres Baumes. Doch dann, ich sah es zuerst! Auf dem Weg spiegelte sich das letzte Licht des Tages. Es spiegelte sich in einer Pfütze, einer richtig großen Pfütze, wir hatten doch noch Wasser gefunden. Wir tranken hastig bis wir genug hatten und rannten zurück zu unserem Baum, zu Lisa. „Komm mit, wir haben Wasser“, rief Lara schon von weitem. Doch Lisa antwortete nicht. Sie lag nur still da und atmete ganz flach. Ich stupste sie an, doch sie rührte sich nicht. Wir leckten ihr das Fell, doch von ihr kam keine Reaktion. Es blieb uns nichts anders übrig, als uns neben sie zu legen. Wir kuschelten uns ganz dicht an sie, damit wir es alle zusammen einigermaßen warm haben würden. Ich schlief eine traumlose Nacht und wachte am frühen Morgen zitternd vor Kälte auf. Lara lag neben mir eingerollt wie der Igel, den wir vor Wochen einmal auf unserem Hof gesehen hatten und mit den Onkel Demis eine Weile gespielt hatte. Lisa dagegen lag lang ausgestreckt neben mir. Aber sie war kalt, so kalt wie die Erde und die Steine ringsum, so kalt wie das taunasse Gras. Sie bewegte sich nicht als ich sie anstupste, als ich ihr das Fell leckte und sie mit der Pfote anstieß. Ich weckte Lara, auch sie versuchte Lisa aufzuwecken. Doch dann sahen wir Lisas offene Augen, und wir wussten, sie war tot. Ihre Augen waren wie die Augen von Onkel Demis, nur dass kein Blut aus ihnen floss. Ich streckte mich und schüttelte mich. Dann lief ich ein paar Meter weg um zu pinkeln. Lara kam mit. „Was machen wir nun?“, fragte ich sie. „Lass uns zu dem alten Auto da vorne gehen“, meinte sie. „Die Frau kam immer aus dieser Richtung, da können wir sie wenigsten nicht verpassen“. Auch ich hatte keine Lust neben der kalten Lisa zu liegen. Also gingen wir zum alten Auto, legten uns daneben ins Gras und schauten sehnsüchtig in die Richtung, aus der die Frau und der braune Hund immer gekommen waren.
Mir war noch kalt, aber in der wärmenden Morgensonne schlief ich nochmals ein und wurde erst durch Laras Winseln geweckt. Sie kamen! Die Menschen, die guten Menschen kamen wieder. Ganz aufgeregt hüpften wir beide herum, rannten den Menschen entgegen, als der braune und diesmal auch wieder der schwarze Hund zu uns her liefen. Die beiden großen Hunde beachteten uns kaum, die dicke Schwarze schnüffelte gelangweilt an einem Gebüsch und der Braune, wir hatten uns vorgenommen in fortan Onkel zu nennen, damit wir wieder einen Onkel hätten wie Onkel Demis, also der braune Onkel rannte einfach an uns vorbei in einen Orangenhain. Die Frau begrüßte uns herzlich und auch der Mann, der übrigens wirklich riesig war, beugte sich zu uns herab. Er war viel größer als alle Menschen, die ich je gesehen hatte, auch viel größer als der böse Mensch, der uns von Zuhause weg gebracht hatte. Deshalb hielt ich ihn auch weiterhin für gefährlich und habe vor Angst gleich auf den Boden gepinkelt, als er versuchte mich zu streicheln. Er hat mir aber nichts getan, sonder diesmal hatte er die Tüte mit Futter dabei und schüttete sie am Wegrand aus. Eigentlich waren mir die Menschen ja völlig egal, drum war es ja auch egal wie groß sie waren. Hauptsache sie brachten uns was zu essen. Nur das Futter war wichtig, und es schmeckte einfach Spitze. Ich war so hungrig. Und diesmal hatte die Frau sogar Wasser mitgebracht, obwohl wir das gar nicht mehr brauchten. Wir hatten doch die Pfütze gefunden. Die beiden Menschen schauten suchend um sich. Ich dachte es mir schon, sie suchten Lisa! Ich sah es, und ich roch es genau, der Mann hatte noch etwas in seiner Tüte. Sicher würde er es Lisa geben wollen. „Hört mal her, Lisa ist tot, gebt das Futter uns“, winselte ich und wedelte freundlichst und ergebendst mit dem Schwanz, doch die beiden suchten weiter, bis sie Lisa schließlich fanden. „Sie ist tot, Scheiße!“, sagte die Frau und ich sah, dass sie Tränen in den Augen hatte. Sie weinte. Ich hatte auch geweint, als wir so lange in der schwarzen Kiste waren. Aber doch nicht wegen Lisa! Lisa war doch nur tot wie Onkel Demis. Und Lisa hatte ja ohnehin keinen Spaß gehabt mit uns die Orangehaine zu erforschen, und sie hatte keine Lust gehabt Wasser zu suchen. Ich fand es fast normal, dass sie nun tot war, warum auch immer. Warum sollte man da weinen? Zumal es ja für uns nun mehr zu essen geben würde. Irgendwie wurde mir klar, dass die Menschen nicht so normal waren wie wir Hunde, nicht ganz normal sein konnten! Allenfalls der Mann schien mir vernünftig zu sein, zumindest in diesem Moment. Er schüttete den Rest des Futters neben Lisa ins Gras und Lara und ich, wir ließen es uns nochmals schmecken. Ich schaute Lara an wie sie mit ihrem dicken, runden Bäuchlein und ihren dünnen Beinchen dastand und musste richtig lachen. Lachen? Klar können wir lachen. Es hat mich einige Überzeugungsarbeit gekostet meinem Sekretär dies zu vermitteln. Doch es ist wirklich wahr, alle Hunde können lachen, und wenn es uns gut ging, lachten wir viel. Nun lachte ich über Laras und Lara lachte über meinen dicken Bauch. Wir standen da und lachten ganz albern über unsere dünnen Beine, unsere großen Köpfe, die langen Zungen, über den braunen Onkel, die dicke Schwarze und über die guten, komischen Menschen, die weinten, weil Lisa tot war. Der Tag schien gut zu werden. Die Sonne brannte wieder warm auf den Pelz. Wir rannten vor Freude zurück zu dem alten Auto. Es war uralt, hatte aber echte Räder. Ich habe mich später ganz intensiv mit Autos befasst, darum kenne ich mich mit den Marken einigermaßen aus. Es war ein alter Datsun. Als wir uns umdrehten, waren die beiden Menschen mitsamt Onkel und der Schwarzen verschwunden. Wir hatten es vor Lachen gar nicht gemerkt. Doch nun waren wir uns sicher, sie würden wiederkommen, würden wieder Futter mitbringen, immer wieder, und wir würden wieder etwas zum Lachen haben. Wau!