6. Aris Geschichte

Der Morgen war trübe, es sah fast nach Regen aus. Genau der richtige Tag um Geschichten zu erzählen. Gleich nach dem Frühstück und einem ausgiebigen Spaziergang drängelten Lara und ich Onkel Ari und Tante Kyra mit uns auf das Dachzimmer zu kommen und Geschichten zu erzählen. Onkel Ari legte sich auf das steinerne Podest, Tante Kyra setzte sich in eine Ecke, und Lara und ich lagen am Boden und schauten zu Onkel Ari hinauf. „Los erzähl schon deine Geschichte, aber von Anfang an“, meinte Tante Kyra zu Onkel Ari, „Du bist jetzt schon so lange hier, und ich weiß immer noch nicht, von wo du eigentlich her kommst“. „Aber ich weiß ja auch von dir nicht viel“, meinte Onkel Ari. „Meine Geschichte erzähl ich auch, aber anschließend“, erwiderte Kyra.

"Also gut, dann hört mal zu“, fing Onkel Ari an und streckte sich dabei lang aus, so dass er aussah wie ein edler Prinz auf einem Diwan (Hab ich später mal im Fernsehen gesehen, deshalb weiß ich, was ein edler Prinz auf einem Diwan ist). „Ich bin irgendwo in der Nähe der großen Stadt Athen geboren, genau genommen in Piräus. Ich wusste lange nicht, welche Straße es genau war, doch war ich vor einiger Zeit mit Kyra, der Chefin und dem Boss dort. Du kannst dich sicher erinnern, Kyra, es war da, als ich dir sagte, mir käme das alles so bekannt vor. Du weißt doch noch, als wir letztes Jahr auf dem Weg zu dem großen Schiff waren. Nun, Piräus ist also eine ziemlich große Stadt mit vielen Autos und vielen Hunden und noch mehr Menschen. In einer kleinen Gasse dieser Stadt bin ich auf die Welt gekommen. Dort lebte meine Mutter mit einigen Tanten zwischen vielen Häusern in einer kleinen Grünanlage. Meinen Vater hab ich nicht gekannt, aber meine Mutter hat erzählt, er wäre ein durchreisender amerikanischer Filmschauspieler namens Lassi gewesen, und sie hätten es nur mal schnell so in einer Ecke getrieben. „Wen haben die in die Ecke getrieben?“, fragte Lara dazwischen. „Ach, das ist nicht so wichtig“, meinte Tante Kyra. „Fahr fort mit deiner Erzählung Ari“.

„Meinen Vater hab ich später mal im Fernsehen gesehen. Ich bin mir sicher er war es. Weißt du noch Kyra, der in dem Film mit den Pferden, als die zwei Typen herumgeballert haben und mein Vater dem einen in einem Sprung das Schießeisen aus der Hand riss und gleichzeitig den anderen erschoss“. „Wau“, entfuhr es mir. „Dann hast du ja einen ganz berühmten Vater. Schade dass wir den nicht kennen lernen können. Von dem hätte ich gern ein Autogramm“. „Also ich denke, er wird ein ziemlicher Halodri gewesen sein, dein Vater“, meinte Kyra trocken. „Mit dem brauchst du nicht angeben!“ „Tu ich doch gar nicht“, sagte Ari. „Wer wollte denn unbedingt die Geschichte hören?“, und dabei verdrehte er ein wenig beleidigt die Augen. „Ist schon gut, fahr fort!“, sagte Kyra.

„Nun ich bin also dort geboren. Ich hatte ein paar Geschwister, an die kann ich mich nicht mehr richtig erinnern. Wir hatten nur die Straße und die kleine Wiese der Grünanlage als Spielplatz und versteckten uns meist hinter Autos und Mülltonnen. Ich war wohl so in eurem Alter als mich beinahe ein Auto überfuhr". Dabei sah Ari Lara und mich an. "Ich wollte einem Vogel hinterherlaufen und plötzlich quietschten irgendwelche Reifen. Ich wurde ganz starr vor Schreck, dann bekam ich einen Schlag auf den Kopf, und von da an wusste ich erst mal nichts mehr. Als ich wieder aufwachte, lag ich mitten auf der Straße, vor mir stand ein rotes Auto und um mich herum standen große und kleine Menschen und starrten mich an. Ich dachte, mir ist doch gar nichts passiert, nur dass mir der Vogel wohl eine verpasst haben muss. Doch als ich mir mit der Pfote über den Kopf strich, tat das ganz schön weh und außerdem war ein wenig Blut an der Pfote. Hatte mich wohl doch verletzt! „Schau, der Arme“, sagte einer der kleineren Menschen. „Papa, du hast ihn fast tot gefahren!“ „Das ist doch nur so ein Straßenköter“, meinte der „Papa“. „Ich will ihn mitnehmen. Ich will ihn haben, ich will, ich will!“, und der kleine Mensch hüpfte ganz wütend herum bis schließlich der große Papa einwilligte und der Kleine mich mitnehmen durfte. Sie legten mich ins Auto auf eine Plastiktüte. Ich war so benommen, dass mir das egal war und schlief auch gleich ein. Als ich aufwachte, war ich immer noch in der Stadt. Es roch noch genauso nach Benzin und Autos und Dreck und Hunden und Menschen wie in der Straße, in der ich geboren wurde, aber ich lag jetzt in einem Garten. Ich schaute mich um. Da war ein großes Haus mit einer Mauer und einem hohen Zaun außen herum. In dem Garten waren viele Büsche und Bäume. Ich weiß noch genau, mir brummte der Schädel, und ich hatte einen Wahnsinnsdurst und auch Hunger. Neben mir stand eine Schale mit Wasser und auf einem Stück Karton lag ein großer Haufen Nudeln. Man hab ich die in mich hinein gefressen“.

Dachterrasse
Unsere geliebte Dachterrasse

„War dieses Haus größer als das da, bei dem wir jetzt wohnen?“, fragte Lara. „Ja, viel größer und viel höher“, meinte Onkel Ari. „Jetzt unterbrecht ihn nicht und lasst ihn weiter erzählen“, brummte Kyra.

„Nun, ich lebte in diesem Garten eine ganz lange Zeit, wurde allmählich größer, lernte einige Hunden in der Nachbarschaft kennen, auch ein paar sehr nette Hundedamen", dabei schaute Onkel Ari ziemlich dreist auf Kyra, die nur verächtlich die Nase rümpfte. "Die Familie war eigentlich ganz nett, nur der Papa, der konnte mich nicht so richtig leiden. Auch durfte ich nie in das Haus hinein. Aber der Junge brachte mir jeden Tag einmal was zu essen und so ging es lange Zeit.“ Onkel Ari streckte sich und leckte sich die Vorderpfoten. „Weiter, weiter“, drängelte ich.

„Eines schönen Tages, ich glaube ich war gerade so ein Jahr alt, da ist die ganze Familie in Urlaub gefahren und hat mich mitgenommen. Wir fuhren in so einem japanischen Auto sehr weit von der Stadt fort und sehr, sehr schnell. Mir wurde es auf dieser Fahrt hundeelend und schließlich hab ich ins Auto gekotzt“. „Das finde ich ja toll, dass dir auch schlecht wurde beim Autofahren“ entfuhr es mir.

Lucy im Gras
Aris Geschichte ist spannend

„Ja, jedenfalls waren wir nun in einer anderen Stadt. Der Papa, der das Auto fuhr, hielt an und meinte, nun habe er genug von dem Köter. Er packte mich am Genick, und eh ich mich versah, stand ich alleine auf einem Gehweg in einer völlig fremden Stadt. Ich kannte keine Hundeseele, auch keinen Menschen, hatte nichts zu fressen, nichts zu saufen und bin einfach mal ziellos herum gewandert. Ich hatte ziemlich viel Angst damals. Nicht vor den Autos, denn mit denen kannte ich mich ja von Kindheit an gut aus, aber vor den Menschen, denn immer, wenn ich auf einen zuging, bückte der sich und warf mir Steine hinterher. Wenn die trafen, tat das ordentlich weh. Ich wanderte bis ich ans Meer kam, das war nicht so arg weit, denn die Stadt hatte wie Piräus einen Hafen, wenn auch einen viel kleineren. Also dort an diesem Hafen lernte ich ein paar freundliche Menschen kennen, die redeten gleich mit mir, manche streichelten mich sogar und gaben mir zu futtern. Nachts schlief ich unter riesigen Bäumen, neben denen LKW-Autos standen, ihr wisst schon, diese ganz dicken Brummer. Tagsüber döste ich meist in der Sonne und wartete darauf, dass mir irgendwelche Menschen etwas zum Fressen gaben. Das beste Futter bekam man von den Menschen, die in den großen weißen Autos herumfuhren, so ähnlich wie der Bus von Chefin und Boss. Wenn immer ich so ein Auto sah, bin ich also hingerannt, hab ein bisschen unterwürfig mit dem Schwanz gewackelt und konnte sicher sein, es gab bald eine Portion Spaghetti oder Reis mit Soße. Ich lebte eigentlich ganz gut damals, nur gab es auch viele andere Hunde dort, die mir mein Revier streitig machten. Oft genug musste ich heftig kämpfen“. „Denen hast du es aber sicher immer gegeben“, meinte Lara und schaute mit ergebenem Blick zu Onkel Ari hoch, der immer noch auf seinem Podest lag.

„Doch eines Tages kamen riesige Maschinen, rissen die Bäume heraus und gruben den ganzen Platz auf. Es kamen keine Menschen mehr mit ihren weißen Bussen. Die stellten sich jetzt auf einen anderen Platz, der aber zum Revier der Altstadtbande gehörte, einer ganz üblen Meute. Mit denen wollte ich mich auf keinen Fall anlegen. Deshalb bin ich weg gegangen, immer in eine Richtung, bis ich ans Ende der Stadt kam. Ihr wisst natürlich längst, dass ich mit dieser Stadt die meine, in der wir alle jetzt wohnen, und ihr wart ja auch schon oft genug dort“. „Eisdiele!“, sagte Lara nur.

„Ja, genau da, wo wir mit der Chefin und dem Boss immer in die Eisdiele gehen, begann das Revier der Altstadtbande. Ich sag euch, ohne Chefin oder Boss, alleine würde ich dort nie hingehen“. „Ich glaub ich hab dort einen von dieser Bande gesehen“, meinte Lara. „Ein riesiger braun-weißer Köter mit dickem Bauch und einem ganz großen Kopf“. „Das war sicher der Zerhacker“, erwiderte Ari. „Dem geht ihr auch in Zukunft besser aus dem Weg, der hat nämlich einen Dachschaden, seit er einmal von einem Auto angefahren wurde. Und der beißt deshalb auch junge Damen“. Lara kicherte ein bisschen wegen den „jungen Damen“.

Stamm-Eisdiele
Unsere Stamm-Eisdiele

„Auf alle Fälle ging ich immer weiter, es gab schon keine Häuser mehr, dafür umso mehr Orangen- und Olivenbäume. Ich hoffte, ich würde irgendwo eine Baustelle finden. Ich hatte mich schon mal eine Weile als Baustellenhund durchgeschlagen und auf die Vesperpakete der Bauarbeiter am Hafen aufgepasst, bis die Arbeiter was arbeiten mussten. Dann habe ich mich über die Tüten hergemacht. Damit es nicht auffällt, hab ich natürlich immer nur ein Brot und eine Wurst oder einen Käse aus einer Tüte genommen und hatte deshalb auch nur ganz selten Ärger. Aber Baustellenhund ist ein unsicherer Job. Die Arbeiter wechseln ständig, manche haben in ihren Tüten überhaupt nichts zum Essen drin, nur Flaschen mit Bier oder Wasser. Und dann sind die Baustellen eines Tages fertig und die Arbeiter verschwinden schlagartig, und man hat nichts mehr zu futtern. Na ja, irgendwann später kam ich an die kleine Straße, an der wir jetzt wohnen. Ich lief diese Straße entlang, weil ich in der Nähe eine Großbaustelle roch. Wisst ihr, wie das riecht? Es riecht nach Beton, frischem, festem Beton. Ich liebte diesen Geruch, versprach er doch Essen. Als ich mich also gerade anfange auf meinen neuen Job als Baustellenhund zu freuen, da sah ich den Boss mit Kyra um die Ecke kommen. Wau, und die Kyra hat damals ganz irre toll gerochen. Ich hab mich sofort in sie verliebt“, und er schaute dabei tatsächlich ganz verliebt die Kyra an. „Ich schlich den beiden hinterher als sie durch einen Orangenhain gingen, keiner hat mich gesehen“. „Da täuschst du dich aber gewaltig“, warf Kyra ein. „Ich hab sofort bemerkt, dass da irgendeiner hinter uns her läuft. Ich wollte bloß den Boss nicht verärgern, drum bin ich mit ihm weiter gegangen. Warum sagt ihr eigentlich immer Boss, der heißt doch Micha! Wir könnten doch auch Micha zu ihm sagen, mir gefällt das besser.“

„Ich folgte euch bis zu eurem Haus“, erzählte Ari, an Kyra gewandt weiter. „Dann hab ich mich hinter den Zaun gelegt und gehofft, dass du mal wieder herauskommen würdest. Da waren ziemlich viele Leute in dem Haus damals. Ich glaube es waren Bosses – Entschuldigung – Michas Eltern da, die wir später auf einer großen Reise mal besuchten und eine andere Frau, die Petra hieß“. „Stimmt“, nickte Kyra mit ihrem großen Kopf. „Und der Sepp, so heißt Michas Vater, hat dir immer heimlich ein bisschen was zu Essen über den Zaun geworden“. „Ja, einmal bin ich sogar durch ein Loch im Zaun zu euch in den Garten hinein marschiert, und da hat mich die Mutter vom Boss ziemlich lautstark zum Gartentor wieder hinausgejagt. Trotzdem bin ich nicht von deiner Seite gewichen“, meinte Ari zu Kyra. „Da siehst du mal wie treu ergeben ich dir bin.“ „Schleimer“, brummte Kyra. „Aber erzähl ruhig weiter!“.

„Jedenfalls hab ich eine ganze Zeit in dem Nachbargarten gelebt und hab ab und zu was zu Fressen von Sepp bekommen. Ich war ein echt magerer Typ damals. Später war dann Oma Gerda da, die ihr schon kennt und die Mutter von der Chefin, die...“. „Die Chefin heißt eigentlich Steffi“, warf Kyra wieder ein. „Chefin klingt besser“, mischte ich mich ein. „Und Boss auch“, meinte Lara. „Also meinetwegen, bleiben wir eben bei Chefin und Boss“, gab Kyra nach.

„Also die Mutter von der Chefin, die hat mir richtig viel Futter bebracht. Ich glaub sie hat heimlich für mich in der Stadt eingekauft. So vergingen ein paar Wochen, und irgendwann, als Bosses Eltern, Oma Gerda, Chefin' s Mutter und die Frau namens Petra längst wieder abgereist waren, da legte mir die Chefin ein total kuscheliges Polsterbett über den Zaun. Da wusste ich schon, hier würde ich bleiben“. „Wann war denn das alles gewesen?“, fragte Lara. „Na, letztes Jahr im Sommer war das“, erzählte Ari weiter. „Und ein paar Tage später, lud mich die Chefin ein, mit in den Garten zu kommen. Von da an wohnte ich hier“.

Onkel Ari streckte sich wieder und legte dann seinen Erzählerkopf auf die Vorderpfoten. „War das schon alles?“, fragte ich. „Du hast doch mal was gesagt von langen Reisen und großen Schiffen!“ „Kommt schon noch“, meinte Ari. „Doch für heute morgen ist mir der Mund vom Erzählen schon so trocken, dass ich erst mal was Saufen muss. Ich erzähl dann heute Abend weiter“. „Es heißt trinken, Mädels, nicht saufen“, meinte Tante Kyra. „Saufen ist Gossensprache“, dabei schaute sie vorwurfsvoll auf Onkel Ari, der inzwischen aufgestanden war, die losen Haare in den Wind schüttelte und dann nach unten trabte, wo wir ihn schlabbern hörten. Lara und ich rannten hinunter in den Garten um ein wenig zu toben, und wir freuten uns schon auf die baldige Fortsetzung der Geschichte.

Über den Tag gibt es nicht viel zu berichten. Es war ein ganz normaler Tag und wäre nicht die Vorfreude auf Onkel Aris weitere Erzählung gewesen, hätte ich ihn als langweilig abgetan. Und so saßen Lara und ich schon gleich nach dem Abendessen oben auf dem Dachzimmer und warteten auf Onkel und Tante. Es dauerte eine ganze Weile bis sie kamen, und wir kauten schon ungeduldig an ein paar Holzstücken herum. Doch endlich hatte Onkel Ari auf seinem Podest Platz genommen und Tante Kyra sich wieder in eine Ecke gelegt. Es sah fast so aus, als ob sie sich überhaupt nicht für die Geschichte interessieren würde. Nur wenn man genau hinschaute, konnte man sehen, dass ihre Ohren jedes Wort mitbekamen.

Onkel Ari fuhr fort zu erzählen: „Wo waren wir stehen geblieben?“, fragte er Kyra. „An dem Tag, als du zum ersten Mal zu mir in den Hof durftest“, sagte Kyra.

„Ach stimmt! Also von da an wohnte ich hier, und es war für mich, der ich gewöhnt war mir irgendwo etwas zu essen zu erbetteln schon eine gewaltige Lebensveränderung. Kyra war ja ganz nett, aber sie zeigte mir mehr als deutlich, dass sie hier das Sagen hätte“, und dabei schaute er mit einem zwinkernden Auge hinunter auf Kyra, die nur gelangweilt gähnte. „Trotzdem kamen wir blendend miteinander aus. Stellt euch vor, all die vielen Raufereien, die ich täglich hatte durchstehen müssen um mein Revier zu verteidigen, waren ein für alle mal passé. Hier gab es zu essen ohne Betteln und ohne Kampf. Meist kochte der Boss, und dann kochte er für Kyra und mich mit. Nur vom Feinsten, aber das wisst ihr ja selber. Also, ich kann nur sagen, wir verbrachten schöne Tage. Ein paar Wochen später kamen nochmals zwei Leute auf Besuch, Frank, der Bruder vom Boss und seine Freundin, Silke. Es waren herrlich faule Tage. Ab und zu mal Baden gehen ans Meer oder ein wenig spazieren in die Berge. Mit Frank und Silke sind wir mal weggefahren zu irgend so einer Schlucht, weißt du noch Kyra? Da ging's ganz steil runter in glühender Mittagshitze und unten war dieser eiskalte Bach, in dem wir badeten“. „Ha“, warf Kyra ein, „Als ob du in dem kalten Wasser gebadet hättest. Du bist doch viel zu wasserscheu. Soweit ich mich erinnere, hast du gerade mal deine Fußsohlen nass gemacht, während ich immerhin bis zum Bauch im reißenden Fluss stand!“ „Dafür bin ich aber auch ohne Probleme wieder den Berg rauf gekommen, während du geschnauft hast wie eine alte Dampfmaschine“, antwortete Onkel Ari. „Komm du erst mal in mein Alter! Ich will sehen wie du dann schnaufst“, keifte Kyra sichtlich giftig.

„Jedenfalls kann ich mich an den Ausflug sehr gut erinnern, weil mir auf der Hinfahrt schlecht geworden ist und ich wie Lucy gekotzt hab“, fuhr Onkel Ari fort. „Aber ich dachte mir, ich nehme es mal als Prüfung, ob diese Menschen für mich tauglich sind. Denn wenn sie mich an diesem Tag wegen des Kotzens gleich wieder fortgejagt hätten, wäre ich wenigstens nicht so weit von der Stadt weg gewesen und hätte wahrscheinlich wieder dorthin zurück gefunden. Aber die Chefin hat nur meine Kotze aufgewischt und nicht mal geschimpft. Nur zum Boss hat sie gesagt, er solle gefälligst langsamer fahren. Dabei fuhr der ohnehin nie so schnell wie die Chefin. An diesem Tag habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Kuchen gegessen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was das für eine Köstlichkeit für mich war. Wir hatten uns nach dem Bad im kalten Bach den ganzen steilen Hang wieder hinaufgequält, und zugegeben, mich hat's auch ziemlich angestrengt. Doch oben am Bus gab's eine erfrischende Quelle gegen den Durst und anschließend feinsten Kuchen, Marmorkuchen mit einem Schokoladen-Zucker-Guss. Stimmt' s Kyra?“ Kyra nickte zustimmend und schleckte sich übers Maul. „Ihr hättest mal sehen sollen, was für Kuchen ich früher immer bekam, als ich noch in dem Haus in Kaltland lebte“, schwärmte Kyra. „Doch davon werde ich euch später noch erzählen “.

Onkel Ari erzählte weiter: „Nun, ziemlich bald nach dem Ausflug als Frank und Silke abgereist waren, fingen der Boss und die Chefin an, den Bus wieder voll zu packen und auch den Anhänger. Da bin ich gleich ganz nervös geworden und dachte mir, es geht auf eine größere Reise.“ „Quatsch“, warf Kyra ein. „Ich hab dir damals gesagt, wir fahren weit fort, auf die Sinai, in die Wüste, an das Rote Meer, dorthin wo wir eigentlich wohnten, und wo Kamele und Beduinen leben. Aber klar, du warst ja bis dahin noch nie aus deinem Lande heraus gekommen, und da war's für dich schon was Besonderes als die anfingen den Anhänger voll zu packen“. Lara schaute mit glänzenden Augen zu Kyra: „Was sind denn Kamele, und was sind Beduinen?“, fragte sie, „Und ist das Meer dort wirklich rot?“ „Dazu komm ich schon noch“, sagte Ari und sprach weiter: „Ein paar Tage später haben Chefin und Boss alles weggeräumt, das Haus zugesperrt, dem Vermieter die Schlüssel zurück gegeben, und wir sind tatsächlich losgefahren. Wir fuhren nach Athen, durch die Straßen von Piräus, wo ich geboren bin. Ich hab's euch ja erzählt. Wir fuhren zum großen Hafen. Inzwischen war ich das Autofahren einigermaßen gewöhnt, und mir wurde auch nicht mehr schlecht“, dabei schaute Onkel Ari mich demonstrativ an. Ich konnte doch gar nichts dafür, dass mir so schlecht wurde, sagte ich mir im Stillen, hielt aber meine Klappe um ihn nicht zu unterbrechen. „Wir kamen also an den Hafen, den ich in meiner Kindheit manches Mal aus der Ferne gesehen hatte. Dort waren riesige, weiße Schiffe, unheimlich viele Autos und Menschen. Trotzdem fand die Chefin, die fuhr nämlich an diesem Tag , sofort das Schiff, auf dem wir übers Meer reisen sollten“. „Dank GPS. Ich hab's euch schon mal erklärt“, murmelte Kyra. „Damit finden sie alles“. „Wir fuhren mit Bus und Anhänger in das Schiff hinein. Alles roch nach Öl und Diesel und Benzin, und alles war wahnsinnig dreckig. Der Boss war ganz hektisch und die Chefin auch, denn ich glaube, wir Hunde hätten eigentlich gar nicht auf das Schiff gedurft. Kyra und ich mussten an die Leinen, und die Chefin zog uns ganz schnell eine elegante Treppe hoch – an die eine Ecke hätte ich so gerne hingepinkelt, aber sie hat mich nicht gelassen. Anschließend gingen wir hinaus ins Freie auf den Balkon des Schiffes, und da sah ich erst richtig, wie riesig groß dieses Schiff wirklich war. So groß wie zehn Häuser. Der Boss, der vorher irgendwo im Schiff verschwunden war, kam plötzlich wieder zu uns und führte uns auf Wegen, die vom Geruch her nicht zu verfolgen waren zu einer braunen Tür. Wir mussten ganz schnell dort hinein schlüpfen und rasch durch einen schmalen Gang rennen um zu einem Zimmer zu gelangen, in dem bereits unsere Sachen standen. Wir hatten tatsächlich ein Zimmer auf dem Schiff. Es war sogar fast schon eine kleine Wohnung, denn da gab's ein richtiges Bad mit fließend Wasser, wie zuhause. Ich hatte gleich kapiert, hier durften wir eigentlich nicht sein, deshalb waren wir immer ganz leise. Nicht mal pupsen durfte ich laut, da hat Kyra schon „Pscht“ gemacht.

Das Schiff fuhr ab, man merkte es kaum. Wir haben in unserem Zimmer geschlafen und sind erst am Morgen aufgewacht als wir beide dringend pinkeln mussten. Chefin und Boss sind dann mit uns wieder hinaus auf den Balkon geschlichen“. „Auf einem Schiff nennt man das nicht Balkon, sondern Deck. Das ist ein ziemlich lausiger Ort, meist mit viel stinkender Farbe gestrichen und rutschig“, korrigierte Kyra. „Also gut, Deck“, fuhr Onkel Ari fort. „Ich hab also verzweifelt versucht einen Platz zum Pinkeln zu finden auf diesem Deck. Es gab fast nichts, keinen Baum, keinen Strauch, kein Gras. Das einzige, was so roch, dass ich es problemlos hätte anpinkeln können, waren die großen dreckigen Rucksäcke von den Menschen, die oben auf Deck geschlafen hatten, aber das ließ die Chefin nicht zu. Gott sei Dank hat mir Kyra schließlich erklärt, dass man hier am besten einfach auf den Boden pinkelt. Sie hat's mir vorgemacht und ich hab's nachgemacht, mir hätte es sonst die Blase zerrissen. Das Schiff hat dann aber glücklicherweise bald eine Pause gemacht, und wir konnten für ein paar Minuten an Land gehen. Wo das war, weiß ich nicht. Weißt du es, Kyra?“ fragte Onkel Ari. „Klar, das war auf auf einer Insel, wir hatten aber nur ganz kurz dort angelegt. Ich hab's grad so geschafft, mein großes Geschäft zu erledigen“, berichtete Kyra. „Und dann musste wir schon wieder zurück an Bord rennen“. „Ja, ja, wir wissen schon, du brauchst immer ein bisschen länger für deine großen Geschäfte“, stichelte Onkel Ari. „Bei mir und den beiden Mädels geht das immer ganz fix“. Kyra machte nur „Puh“ und tat so, als hätte sie Aris spitze Bemerkung nicht wahrgenommen. Sie brauchte wirklich immer unheimlich lange bis sie gekackt hatte, weil sie total verklemmt war, und weil sie es nicht leiden konnte wenn jemand dabei zusah. Aber sie ist halt eine andere Generation als wir Jungen. Für uns ist das ganz normal in aller Öffentlichkeit zu kacken. Mich zumindest stört es nicht im Geringsten, wenn andere dabei zuschauen.

„Ja, das Schiff fuhr bald wieder los“, berichtete der Onkel weiter. Wir waren den ganzen Tag und noch eine ganze Nacht an Bord, ehe wir wieder eine Pause machten. Diesmal mussten wir mit dem Auto aus dem Schiff herausfahren und draußen im Hafen ein paar Stunden warten. Das war auf Zypern. Ich hab mir den Namen gemerkt, weil dort ständig Polizisten mit Knarren herumgelaufen sind, und wir uns nicht ganz sicher waren, ob die auf uns schießen würden, wenn wir zu weit von unserem Auto weg gingen. Wenigstens konnten wir auf Zypern richtig aufs Klo, und ich hab mich absichtlich ganz leer gepinkelt ehe wir mit dem Schiff wieder ablegten.

Ja und dann fuhr das Schiff noch mal eine ganze Nacht, ehe wir am Zielhafen waren“. „Wau, drei Nächte und zwei Tage“, warf Lara ein. „Was habt ihr denn die ganze Zeit gegessen?“ wollte sie wissen. Klar, Lara denkt immer nur ans Essen „Oh, mal gab's Hähnchen mit Reis, mal Spaghetti, mal andere Nudeln mit Rindfleisch, einmal auch Hundefutter. Zu essen gibt's auf den Schiffen immer genug. Chefin und Boss besorgten es schon irgendwoher. Ich hab mich da nie drum gekümmert. Weißt du, Kyra, woher die immer das Essen haben, auf dem Schiff?“ „Das kommt aus der Schiffsküche. Weißt du denn nimmer, wie uns an einem Tag irgend so ein Typ die vielen Hähnchen und Steakstücke aus einem Fenster reichte? Hinter diesem Fenster, da war die Schiffsküche, der einzige Ort auf einem Schiff, an dem es ordentlich gut riecht“, erklärte uns Kyra.

„Endlich, endlich fuhren wir wieder an Land. Die Stadt hieß Haifa und das Land hieß Israel. Später hab ich im Fernsehen gesehen, es ist ein sehr gefährliches Land, in dem ständig Bomben hoch gehen. Doch uns ist nichts passiert. Wir sind aber auch sehr schnell weiter gefahren. Einmal gab's was zu essen von McDonny oder so. Kyra mag dieses Zeug ja nicht, aber ich meine, so einmal im Monat kann man schon dort essen. Besonders die Pommes sind recht gut gewesen und die Hamburger-Portion war ziemlich groß, weil der Boss eh nur einen Bissen davon aß ehe ihm schlecht wurde. Da blieb unsereins echt viel übrig. Ich hab übrigens mal in der Stadt einen kennen gelernt, der bei so einem ähnlichen Lokal lebte. Der hat dreimal am Tag den Mülleimer leer gefressen und war so fett, dass er fast nicht mehr laufen konnte. Aber das brauchte er auch nicht, weil der Mülleimer ja direkt vor seiner Nase immer wieder gefüllt wurde. Also, weiter! Wir sind durch ganz Israel gefahren. Kein Problem, denn so groß ist das Land nicht. Am Abend kamen wir dann in eine Stadt, die hieß Eilat. Nichts Besonderes, aber Chefin und Boss blieben dort ein paar Tage, also blieben auch wir dort. Tagsüber war's heiß, nachts angenehm, aber es gab nicht viele Sehenswürdigkeiten für uns. Und die paar Hunde, die wir am Strand trafen, ich sag's euch, lauter solche Halbzigeuner! Die waren vielleicht verdreckt und stinkig. Wir dagegen waren wieder blitzsauber und rochen wären wir direkt aus der Persil-Waschmaschine gekommen. Die Chefin hatte Kyra und mich gleich nach unserer Ankunft im Meer gebadet, mit Menschen-Shampoo, weil wir von der langen Schiffsreise so dreckig waren. Das Wasser in diesem Meer ist übrigens noch viel salziger als das Wasser in unserem Meer zuhause. Abends wird das Wasser ganz rot, drum heißt das Meer auch Rotes Meer. In Eilat hab ich auch mein erstes Kamel gesehen, zum Glück vom Auto aus, denn es war ein ziemlich gefährliches. Es hat nämlich einem Hund, der es nur mal so anschnuppern wollte einen Fußtritt verpasst, dass er glatte zwei Meter weit weg geflogen ist.“ „Ha“, meinte Kyra, „Das ist mir in der Fersh Birgha auf einem meiner vielen Kameltrips auch mal passiert. Vor den Biestern muss man sich in Acht nehmen. Aber es gibt auch nette Kamele wie mein Reitkamel damals. Wir haben uns immer mit Küsschen begrüßt“.

Ari erzählte weiter: „Nach ein paar Tagen in Eilat fuhren wir weiter nach Süden und kamen schließlich spät abends in Dahab, einem Ort auf der Sinai an. Dort haben die Chefin und der Boss ein kleines Haus mit großem Hof. Wir waren alle fix und fertig und froh endlich da zu sein. Kyra wollte mir unbedingt noch die Hunde am Meer zeigen, doch Chefin und Boss waren wohl zu müde. Also verschoben wir unseren Spaziergang auf den anderen Tag. Dahab hat mir nicht so recht gefallen, obwohl es dort sehr abwechslungsreich riecht. Es gibt unheimlich viele Restaurants und unheimlich viel Müll und natürlich unheimlich viele Hunde aus aller Welt, die sich dort treffen um die Reste des vielen Essens aus den Restaurants zu vertilgen. Die meisten der Köter sind ja total harmlos, aber manche sind absolut ausgeflippt, so richtige Flower-Power-Typen, dauernd angedröhnt und nie recht bei Sinnen. Dort trafen wir eine Freundin von Kyra, sie hieß Sphinx und lebte bei ihrem Boss Peter, allerdings ohne Chefin“. Ari schaute für einen Moment betreten auf den Boden, weil Kyra ihn mit traurigem Blick ansah, dann fuhr er fort: „Ja, ich weiß, die Sphinx ist tot, und du hast es mir gesagt, aber es war ja trotzdem schön damals mit ihr im Hof herumzujagen und zu spielen. Wisst ihr, die Sphinx wurde von ihrem eigenen Auto überfahren, weil sie unter dem Auto geschlafen hat, obwohl der Motor lief, und der Fahrer von dem Auto hat es nicht gemerkt als er über sie drüber fuhr. Muss sehr schlimm gewesen sein. Jedenfalls hat Boss Peter es Boss Micha gemailt, und der hat es Kyra erzählt und die mir. Also legt euch bloß nie unter ein Auto, dessen Motor läuft. Wahnsinnig gefährlich! In Dahab trafen wir Leute, die mit uns weiter fuhren in eine echt schöne Bucht im Süden. Dort blieben wir einige Tage, weil Boss, Chefin und die Leute dort tauchen wollten. Kyra, erklär du mal den beiden, was die eigentlich beim Tauchen machen!“

„Was die da eigentlich machen, was ich auch nicht“, meinte Kyra, “Vor allem weiß ich nicht, warum sie überhaupt tauchen. Früher hat der Boss immer nach dem Tauchurlaub eine Menge langweiliger Dias herumgezeigt, die er offensichtlich unter Wasser gemacht hatte. Also tauchte er wohl um Bilder zu machen. Doch jetzt, wo er meist am Computer rummacht, wenn er Bilder anschauen will, weiß ich nicht, ob er überhaupt noch Bilder beim Tauchen macht oder nur noch zum Gucken unter Wasser geht. Auf alle Fälle packen sich die Menschen zum Tauchen eine Menge Gerätschaften auf den Rücken, so zischende Flaschen und Lichter. Manchmal nehmen sie auch so eine gelbe Rakete mit, mit der sie dann flott unter Wasser abflitzen.

Steffi mit UW-Scooter
Die Chefin mit der gelben Rakete

Ja, ich hab da schon eine ganze Menge gesehen, und der Boss hat mich sogar schon mal zum Tauchen überreden wollen. Doch ich hab nur einmal unter Wasser geschaut, das hat mir schon gereicht. Man sieht nichts so richtig, und das Bescheuerte an der Sache ist auch, wenn man von außen ins Wasser schaut, sieht man jede Menge Fische, doch hält man den Kopf unter Wasser sieht man sie nicht mehr“.

„Erzähl doch endlich mal von den Kamelen und der Wüste“, drängelte Lara und trat dabei von einem Vorderfuß auf den anderen. „Das mit dem Tauchen werden wir ganz sicher noch lernen“, warf ich dazwischen. „Denn ich glaube, die Chefin hat uns extra deswegen das Schwimmen beigebracht. Ich hab mal unter Wasser geschaut, ein bisschen was hab ich schon gesehen, aber erzähl erst mal von der Wüste, denn da will ich unbedingt auch mal hin!“ „Das kann euch noch gut passieren“, meinte Onkel Ari. „Kyra hat mir erzählt, der Boss würde jedes Jahr mit ihr dorthin fahren, weil er dort ja eigentlich wohnt“. „Weil doch dort meine frühere Chefin begraben ist“, warf Kyra ein. „Darum will er da immer hin, und ich glaub auch, weil er den Wind dort so mag“. "Ja wohnen wir nicht eigentlich in dem Land, in dem wir geboren sind? Im Orangenland, wo wir in dem schönen Haus und Garten lebten?", fragte Lara. "Dort wohnen wir auch ab und zu", meinte Kyra. "Aber das Haus dort gehört anderen Leuten, und wir können immer nur eine Weile dort wohnen, ehe wir wieder auf die Sinai fahren".

Onkel Ari erzählte weiter: „Nach der Tauchwoche fuhren wir erst mal zurück ins Haus nach Dahab und von dort direkt in die Wüste. Nur noch Sand, Felsen, ganz wenig Sträucher, und es riecht nach fast gar nichts, außer man kommt zu den Beduinen, dann riecht' s dafür um so mehr, weil dort wohnen immer Ziegen oder Schafe. Wir besuchten einen von Bosses Beduinenfreunden, schnappten uns ein paar Kamele und zogen einfach los. Zwei Beduinen gingen mit. Die haben für uns alle gekocht. Es gab jeden Tag Reis, mal mit Hähnchen, mal mit Fisch oder auch mal nur mit Gemüse. Am Schluss konnte ich keinen Reis mehr sehen. Trotzdem war das Essen sehr gut, und es war sehr interessant, weil bei den Beduinen alle mit den Fingern essen, auch Chefin und Boss. Und alle essen aus demselben Napf. Nur Kyra und ich bekamen eigene Näpfe. Was das Reiten anging, so hab ich am Anfang Tante Kyra noch ausgelacht, weil die darauf bestand, mit dem Boss zusammen auf einem Kamel zu reiten. Aber nach den ersten sechs Stunden zu Fuß hab ich schon kapiert warum. Die Kamele sind ganz schön schnell und von dem ewigen Traben im Sand taten mir bald die Pfoten weh, so dass ich der Chefin klar machte, dass ich auch reiten wollte.

Irgendwann hatte sie es gemerkt, und ich durfte nach der nächsten Pause mit aufs Kamel. Da saß ich nun unbequem in einer Tasche, konnte mich nicht richtig bewegen und hab mir die Welt von oben angeschaut. Ich kann euch sagen, das wackelt da oben, und wenn einem vom Autofahren nicht schlecht wird, dann sicher auf einem Kamel. Und wenn nicht vom Wackeln, glaubt mir, Kamele haben einen Mundgeruch, dann wird's einem eben von dem Mundgeruch schlecht. Ich hab zwar nicht kotzen müssen, aber... na ja, lassen wir das Thema. Und was das schlimmste war, Kyra saß beim Boss auf dem Kamel und ritt ganz vorne, die Chefin und ich saßen auf einem ganz lahmen Klepper und ritten ganz hinten. Ich hab mich wirklich angestrengt und „Hüh, Hüh“ gewinselt, doch das Biest wurde einfach nicht schneller. Dabei wollte ich doch neben Kyra reiten um nebenher mit ihr quatschen zu können. Wir sind mehrere Tage durch die Wüste gezogen, über hohe Berge und durch enge Wadis, so heißen dort die Flusstäler. Abends saßen wir alle zusammen am Lagerfeuer, die Beduinen haben gekocht, und wir haben alles aufgegessen. Nachts schliefen wir draußen neben Chefin und Boss. Was wir da so alles gesehen haben. Riesige Echsen und Wüstenfüchse gibt es dort draußen. Und nachts war es manchmal so kalt, dass ich mich ganz nah an die Chefin gekuschelt habe, so dass ich mit auf ihrer Matratze liegen konnte. Gott sei Dank, hat sie mich meist mit einem warmen Fell zugedeckt“.

Ari mit Steffi auf einem Kamel
Onkel Ari auf dem Kamel der Chefin

„Und sie hat nicht gebrüllt?“ fragte Lara. „Ich meine, weil du dich auf die Matratze gelegt hast?“ „Ach was, in der Wüste gelten völlig andere Gesetze. Kyra hat erzählt, sie hätte sogar schon mal fast im Schlafsack vom Boss mit übernachtet, weil es draußen so eiskalt war“. „Stimmt, das war damals auf dem Gebel Gunna, einem ziemlich hohen Berg. Da gab es nachts Frost, richtig Eis auf den Decken, und der Boss hat mir erlaubt, ganz nah bei ihm zu liegen, wahrscheinlich weil er so gefroren hat“, stimmte Kyra bei. Und Ari fuhr fort: „Apropos hohen Berg, wir haben auch einen richtig hohen Berg bestiegen, das war total anstrengend. Kyra hat fast schlapp gemacht und der Boss musste sie mit hinauf schleppen, weil sie nicht genügend Kondition hatte“.

Kyra wird getragen
Kyra auf der Schulter vom Boss

„Von wegen Kondition, meine Kondition ist OK. Ich hab sogar mal einen Wüstenfuchs gefangen vor drei Jahren, der lahmt heute noch auf einem Bein“, maulte Kyra dazwischen und warf Ari einen strengen Blick zu. „Mir war's viel zu warm, das war das Problem. Hättest du so ein dickes Fell wie ich, wär's dir garantiert auch viel zu warm gewesen. Dafür hast du nachts immer gezittert, so dass ich anfangs dachte, du würdest dich in der Wüste fürchten, weil's da wilde Hyänen und Schakale geben soll“. „Quatsch, als ob ich mich vor irgendetwas fürchtete. So schnell macht mir nichts Angst!“ Kyra ließ ein ganz tiefes grollendes Knurren hören, zog ein wenig die Lefzen hoch und zeigte einen ihrer mit Zahnstein belegten Eckzähne und Onkel Ari legte erschrocken die Ohren an. Lara und ich, wir zogen schnell unsere Schwänze ein und duckten uns, aber Kyra sagte nur trocken: „Siehst du, schon mein bisschen Knurren macht dich nervös!“ „Na ja“, meinte Onkel Ari. „Bei dir weiß man ja nie so genau woran man ist, und du kannst ja auch ganz schön grob sein“. „Hauptsache du weißt, dass du dich doch vor was fürchtest“, erwiderte Kyra, hob stolz ihren löwenartigen Kopf und legte sich dann auf die andere Seite um zu zeigen, dass die Diskussion zu Ende sei und Ari weiter erzählen solle. „Insgesamt waren wir wohl so eine Woche in der Wüste, anschließend haben wir noch ein paar Beduinen besucht, die Kyra von früher her kannte. Die haben zwei Hunde. Der eine ist recht dusslig und ist wahrscheinlich zu doof um richtig zu laufen. Darum ist er an einer Leine festgebunden und kann nur um einen Pflock herum hüpfen. Ich fragte ihn, warum er immer so im Kreis herum liefe, aber er konnte nur arabisch kläffen, und ich hab kein Wort von seinem Geplapper verstanden. Kyra kann zwar ein bisschen Arabisch, hatte aber von der Unterhaltung nichts mitgekriegt, weil ihr der andere Beduinenhund die ganze Zeit schöne Augen gemacht hat und wie ein Bescheuerter um sie herumschwänzelte“. „Sei du nur nicht eifersüchtig“, meinte Kyra und grinste dabei, wie ich sie noch nie hatte grinsen sehen. „Du bist ja jeder räudigen Tölle nachgelaufen, die du unterwegs gesehen hast, und wenn die Chefin dich nicht immer wieder zurückgerufen hätte, wer weiß, wo du noch gelandet wärst“.

„Wart ihr nur einmal in der Wüste?“, fragte ich um wieder zurück zum Thema zu kommen. Kyra sagte: „Ja, Ari war nur einmal in der Wüste, und für ihn war es auch das erste Mal. Da kommt einem das alles recht seltsam und wild vor. Ich dagegen war schon so oft in der Wüste, dass es mich inzwischen fast kalt lässt, wenn der Boss die Wüstensachen einpackt. Ich hab einfach schon so viel in der Wüste erlebt, dass ich inzwischen darüber stehe, egal was kommt“. „Was war denn dein wildestes Erlebnis in der Wüste?“ fragte Lara. „Hm, es gab so viele aufregende Erlebnisse. Am verrücktesten war wahrscheinlich die Geschichte als mich damals das Kamel so heftig getreten hatte. Ich hatte es ja schon mal kurz erwähnt. Wir waren da so im Gänsemarsch hintereinander auf einem ganz schmalen Weg über einen Berg marschiert, als das Biest plötzlich mit einem Hinterbein ausholte und mich voll an der Schulter traf. Ich bin ein ganzes Stück weit weggeflogen, und wenn da nicht glücklicherweise ein Fels gewesen wäre, hätte ich leicht in einen Abgrund stürzen können. Der Boss war gleich angerannt gekommen und hat nach mir geschaut, aber es war mir ja eigentlich nichts passiert. Aber dem Kamel hab ich es später heimgezahlt, und das tut mir heute noch gut. Nachdem ich mich von dem Schlag wieder aufgerappelt hatte, habe ich mir das Kamel genau angeschaut und mir das Brandzeichen am Hals gemerkt. Und am Abend, als das Kamel seinen Futtersack über den Kopf gestülpt hatte und mich deshalb nicht sehen konnte, bin ich leise hingeschlichen und hab es ganz kräftig in seine Schnauze gebissen. Da hat es gebrüllt wie am Spieß, und es hat versucht aufzustehen. Weil es aber festgebunden war ist es fast umgefallen und hat noch lauter gebrüllt. Und ich stand daneben und lachte es aus. Ich glaube, es war ihm schon klar, dass ich das war, denn fortan hat es mich in Ruhe gelassen und ist immer einen großen Bogen gelaufen, wenn es mich sah. Ein anderes eher lustiges Erlebnis mit den Kamelen passierte, als wir von Bir el Okta zurückritten und wir eine Felsrutsche hinunter mussten. Ich bin mit dem Boss voraus gelaufen und die Chefin versuchte ihr Kamel hinter sich herzuziehen. Da ist sie ausgerutscht und auf dem Hintern die ganze Felsrutsche heruntergeschliffen. Und kaum war sie unten, ist das Kamel auch ausgerutscht und kam auch auf dem Hintern daher. Es war zu komisch, da hab ich vor lachen glatt in den Sand gepinkelt. Natürlich hatte ich noch viele anderen Erlebnisse, aber jetzt soll Onkel Ari fertig erzählen!“

„Viel gibt's ja jetzt nicht mehr zu erzählen“, fuhr Ari fort. Wir waren dann noch an einem anderen Platz zum Tauchen, ziemlich weit fort von Dahab und anschließend sind wir wieder zurückgefahren in das Land Israel, dort zu der großen Stadt Haifa, die wir schon auf der Anreise gesehen hatten. Wir haben dort sogar noch ein paar Tage gewohnt, obwohl jeden Tag Bomben hoch gegangen sind wie im Krieg. Es hat dauernd geknallt. Schließlich fuhren wir wieder auf ein großes Schiff. Es war aber nicht ganz so groß, wie das auf der Herfahrt, und nach ein paar Tagen waren wir wieder in Piräus“.

„Da hast du aber was vergessen“, meinte Kyra. „Wir haben doch auch in Haifa einige Abenteuer erlebt. Weißt du nicht mehr, wie das war, als wir die Uferpromenade entlang spazierten und dort diese fette getigerte Katze fanden?“ „Stimmt“, erwiderte Ari. „Das hatte ich ganz vergessen. Die haben wir ja gemeinsam gejagt. Doch dann rannte sie ins Meer und hatte Glück, weil gerade keine Welle kam. So konnte sie auf eine Beobachtungsplattform der Rettungsschwimmer hinaufklettern, während dich die nächste große Welle voll erwischte und du beinahe ins offene Meer hinausgespült worden wärst. Da hattest du auch echt Glück gehabt. Das sah richtig gefährlich aus damals und hätte bös ausgehen können“.

„Na ja, ganz so dramatisch war's nicht, ich kann schließlich schwimmen. Aber mich hat's trotzdem gefuchst, dass ich die blöde Katze nicht erwischt hab. Ich war ganz knapp dran. Ich hätte sie in den Arsch beißen können, so nah war ich. Doch genau in diesem Moment, zack, die Katze springt hoch und mich erwischt die Welle. Da hab ich natürlich nichts mehr gesehen, nur noch Gischt und Wasser“, sagte Kyra und hob stolz ihren Kopf. „Apropos Wasser, weißt du noch, wie es damals in Orangenland geregnet hat als wir ankamen? Wir sind erst gar nicht richtig aus dem Auto raus, nur Chefin und Boss haben bei ihren Freunden unser Zeug ausgeladen und schon nach ein paar Stunden sind wir weitergefahren in eine andere Stadt, von wo aus die Schiffe nach Italien abgehen. Und dann ging's nach Kaltland, in die Kälte!“

„Oh je, stimmt“, meinte Onkel Ari. „Das hatte ich auch vergessen, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. Die erzählen wir morgen, nicht wahr Kyra? Für heute ist's genug“. Er schaute dabei erschrocken auf die Chefin und den Boss, die sich leise zu uns herauf geschlichen und ganz offensichtlich zugehört hatten. Vielleicht waren die Geschichten doch ein bisschen übertrieben und nun fühlte Onkel Ari sich ertappt. Aber spannend war's trotzdem.

Wir blieben noch eine Weile im Dachzimmer liegen, schauten zu wie es vollends dunkel wurde und gingen dann irgendwann später ins Bett. Ich sagte Lara, dass ich ganz sicher auch mal auf einem großen Schiff reisen würde und vielleicht auch mal Kamele sehen und vielleicht sogar eines fangen würde um darauf zu reiten.

Am anderen Morgen durfte ich zusammen mit Tante Kyra, Chefin und Boss mit dem Smart in die Stadt fahren. Dort sind wir in die Eisdiele gegangen und als Belohnung für das „Nicht-in-den-Smart-Kotzen“ bekam ich einen Keks. Aber eigentlich wurde es mir inzwischen kaum mehr übel.

Ein paar Tage später – ich hatte Onkel Ari schon ein paar Mal zum Weitererzählen gedrängt, aber er wollte partout nicht – sind Chefin und Boss schon früh morgens weggefahren und haben uns vier Hunde und die Meerschweinchen allein zu Hause gelassen. Lara und ich wollten unbedingt mit, doch die Chefin hat uns geschimpft und sich nicht erweichen lassen obwohl wir lautstark heulten. Ich fragte später Kyra wohin sie fuhren, und Kyra meinte, sie würden die Eltern vom Boss vom großen Flughafen in Orangenland abholen. Es sei eine beschissene Autofahrt dorthin, und wir sollten froh sein, hier bleiben zu dürfen.

„Dann wollen wir aber jetzt die Geschichte weiter hören“, sagte Lara. „Los, heute legen wir uns in den Garten“, und sie puffte dabei Onkel Ari in die Seite. Tante Kyra fing gleich an zu knurren: „Mach das bloß nicht bei mir, sonst setzt es was!“ Aber schließlich gingen wir alle vier nach hinten in den Garten unter einen Orangenbaum und Onkel Ari legte sich bequem hin um weiter zu erzählen.

„Nun, wie ich sagte, es ist eigentlich eine andere Geschichte. Es ist die Geschichte wie ich zum ersten Mal nach Kaltland gereist bin. Es ging alles hopp la hopp. Wir waren wie von Kyra schon erwähnt in strömendem Regen zuhause angekommen und alsbald weiter zum Hafen gefahren. Dort regnete es zwar nicht mehr, dafür ging ein frischer Wind und nach dem vielen schönen Wetter in der Wüste und in dem Land Israel war das ganz schlimm. Ich fror, dass mir manchmal die Zähne klapperten. Wir nahmen uns das beste Schiff, das es gab, einen richtigen Luxusliner. Wir standen mit unserem Bus ganz alleine auf dem Parkdeck. Chefin und Boss durften bei uns im Bus schlafen und während der Fahrt spielte ich mit der Chefin ein paar Mal Wettrennen auf dem Parkdeck. Natürlich hab immer ich gewonnen. Die Schiffsreise ging zu einem Ort im Land Italien. Sie dauerte nur eine Nacht und einen halben Tag und endete wieder in einem Hafen. Von dort aus fuhren wir weiter mit dem Auto, Hunderte von Kilometern über Autobahnen, durch ganz trübe Landschaften, alles grau und regnerisch. Kyra redete kaum, sie lag nur da und sann vor sich hin. Als ich sie fragte, was los sei, sagte sie nur, dass ihr nicht nach Reden sei im Moment“. „Wenn ihr mal meine Geschichte gehört habt, werdet ihr verstehen, warum es mir auf der Reise nach Kaltland nie sehr nach Reden zumute ist“, erklärte Kyra, und Ari erzählte weiter:

Lara und Lucy am Strand
Wir hatten es uns bequem gemacht

„Ich hatte eine ganze Zeit lang geschlafen und wachte erst auf, als Kyra mich anpuffte. „Schnee“, hatte sie gesagt, und ich wusste gar nicht, was sie damit meinte. Kyra hob den Kopf und zeigte mit der Nase nach draußen, „Schnee, schau, die Berge sind ganz weiß“. Verdammt, tatsächlich, die ganze Landschaft war weiß draußen. Zuerst dachte ich ja an eine optische Täuschung, so wie einem das in der Wüste passieren kann, an eine Fata Morgana. Aber obwohl es bereits dunkel wurde, man sah, dass die Landschaft wirklich weiß war. Nur zwischendurch sah man dunkles Grün von irgendwelchen Bäumen oder ein schmutziges Braun von Häusern. Ein Schaudern überkam mich als Kyra meinte, es komme eine kalte Zeit auf uns zu. In der Tat, es sollte noch viel schlimmer als kalt werden, nämlich eiskalt. Auf einem Autobahnrastplatz machten wir Pause, und ich schaute mir den Schnee an. Zunächst sah das ja ganz nett aus, aber als ich auf dem Schnee laufen wollte, sank ich bis zum Bauch ein und musste ganz mühsam hopsen um voran zu kommen. „Hättest du es so gemacht wie ich, wäre es viel leichter gewesen“, warf Kyra ein. „Klar, du bist einfach wie ein Bulldozer durch den Schnee gewalzt, aber ich wusste damals doch gar nicht, dass das überhaupt ging. Meine Pfoten haben sehr schnell weh getan, aber irgendwie hat das Herumtollen im Schnee doch auch Spaß gemacht. Nur durfte man nicht stehen bleiben, denn dann wurde es einem sofort kalt. Die Chefin legte sich nach hinten zu uns um zu Schlafen und um mich zu wärmen – nehme ich mal an, und der Boss fuhr weiter durch die Nacht, endlos. Wenn ich durch das Fenster schaute, sah ich ab und zu die Lichter von anderen Autos aufblitzen, aber es waren nur wenige, denn es musste bereits unheimlich spät in der Nacht sein. Als der Boss endlich anhielt, waren wir in Kaltland. Kyra erkannte es sofort an der Luft. Es war klirrend kalt. Wir gingen raus um zu pinkeln, und ich sage euch, mein Pinkelstrahl ist mir in der Luft eingefroren, so kalt war es. Gott sei Dank hat der Boss die ganze Zeit die Heizung laufen lassen in der Nacht, sonst hätten wir es nicht überlebt. Und weil es auch der Chefin und dem Boss so kalt war, sind wir schon gleich nach dem Hellwerden weiter gefahren durch endlose Schneelandschaften, und ich dachte mir, hier wollte ich nicht leben müssen. Mir fiel die Zeit ein, als ich im warmen Orangenland am alten Hafenparkplatz lebte. Hier draußen würde ein Hund wie ich nicht überleben können. Er würde zu einem Eisklotz erstarren, und es gab auch keine weißen Wohnbusse, die einem was zum Essen geben könnten. Furchtbares Land, dachte ich mir.

Wir hielten in einer Stadt an, um die Oma von der Chefin zu besuchen. Ich dachte Oma Gerda, die uns zuhause besucht hatte, wäre ihre Oma, aber es war eine andere Oma. Die Chefin hatte auch noch eine andere Oma in der gleichen Stadt, die wir auch noch besuchten. Wahrscheinlich haben die Menschen in jeder Stadt eine oder mehrere Extraomas. Die Omas jedenfalls waren nett. Kyra und ich bekamen je ein großes Stück Wurst und Spätzle und Soße und frisches Wasser. Auch war's recht angenehm warm in den Häusern der Omas, und ich hab's fast bedauert, als wir nach ein paar Stunden weiter fuhren. Nun, zuletzt kamen wir in einen ganz anderen Ort mit komischem Namen. Dort steht das Haus, in dem die Chefin in Kaltland normalerweise wohnt. Ich hab das sofort gerochen als wir bei dem Haus angekommen sind. Die Chefin schloss die Tür auf und siehe da, die Meerschweinchen waren da. Ich weiß zwar nicht wie die dorthin gekommen sind, aber darüber mache ich mir schon lange keine Gedanken mehr. Meerschweinchen sind Viecher, die können heute hier, morgen dort sein. Jedenfalls roch es ganz stark nach Chefin und ein wenig nach Boss. Obwohl es draußen noch immer saukalt war, drinnen konnte man es aushalten, da war der Fußboden angenehm warm. Kyra war es meistens sogar zu warm, typisch“.

„Und was habt ihr dort den ganzen Tag gemacht?“, wollte ich wissen.

„Nu ja“, sagte Ari, „Meist gefaulenzt, ab und zu sind wir spazieren gegangen über einen zugefrorenen See und der Boss hat immer geschimpft, weil er nicht wollte, dass wir auf das Eis gingen“. „Was ist denn das, Eis?“ fragte Lara. „Wenn das Wasser ganz kalt wird, wird es irgendwann fest, so dass man darauf gehen kann, das ist dann Eis“, erklärte Tante Kyra. „Und das Eis kann man richtig essen, so wie in der Eisdiele?“, fragte Lara weiter. „Schon, aber es hat keinen Geschmack, schmeckt wie Wasser. In der Eisdiele ist es ein anderes Eis glaube ich“, sagte Kyra.

„Und weiter?“ fragte ich.

„Nun, wir sind herumgefahren, haben die Eltern vom Boss besucht, die werdet ihr ja wohl heute noch kennen lernen. Dann haben wir viel ferngesehen, Chefin und Boss haben Bilder aus der Wüste und vom Tauchen gezeigt. Es war immer ein bisschen was los. Ach ja, und in genau demselben Haus wohnen die Eltern von der Chefin, und die haben einen ganz blöden Köter, der mich absolut nicht leiden kann, obwohl ich eigentlich gar nichts gegen ihn habe, zumindest hatte ich nichts gegen ihn am Anfang. Jetzt kann ich ihn auch nicht mehr leiden, weil er mich sofort angegriffen hat, als wir ihn mal auf einem Spaziergang trafen“.

„So schlimm ist der auch wieder nicht“, meinte Kyra. „Vor mir hat der schon Respekt. Aber es stimmt schon, eigentlich ist er ein blöder Kläffer. Der hat mal versucht aus meinem Napf zu fressen. Ich hab ihn verwarnt, und als er nicht hören wollte, hab ich ihn ordentlich vermöbelt. Seither ist Ruhe. Vielleicht dürft ihr ja mal mit in das kalte Land reisen, dann werdet ihr ihn noch kennen lernen. Ich glaube, er heißt Tari oder Tarifa oder Chico oder hat alle drei Namen“.

Ari erzählte weiter: „Es gab da noch ein interessantes Erlebnis in diesem Land. Ich war ja die vielen Feiertage in Orangenland schon gewöhnt, doch in Kaltland erlebte ich ein Fest ganz besonderer Art. Man nennt es Weihnachten. Da werden überall Lichter aufgehängt. In den Häusern werden Bäume aufgestellt, ganz besondere Stachelbäume, die es bei uns im Süden gar nicht gibt. Dann wird aller mögliche Müll aus Altmetall und Plastik und Glas an die Bäume gehängt und wieder Lichter dazu. Die Bäume leuchten dann bei Nacht sehr schön, und alles ist ganz feierlich. Wir sind an anderen Häusern abends vorbeigelaufen, da haben die Menschen sogar fürchterlich gejault vor diesen Lichtern, sie nennen es zwar singen, aber der Boss hat es mal vorgemacht. Es ist ein elendes Gejaule und mit unserem Singen gar nicht vergleichbar. Außerdem verschenken die Menschen zu Weihnachten jede Menge Sachen. Auch Kyra und ich haben zu Weihnachten eine ganze Wurst geschenkt bekommen, welche von der Chefin unter dem Lichterbaum versteckt wurde. Natürlich gibt es so was Ähnliches wie Weihnachten auch in Orangenland. Zumindest glaub ich das, weil auch dort in der kalten Zeit überall Lichter aufgehängt werden. Aber dort hab ich es nie so direkt erlebt und vor allen Dingen hat mir nie einer was geschenkt“.

„Und wie kamt ihr wieder zurück nach Orangenland?“, wollte ich wissen. Ari sagte: „Eigentlich genau so, wie wir nach Kaltland kamen. Wir sind endlos mit dem Auto gefahren. Ach ja, und da war die Oma Gerda mit dabei. Dann ging's wieder auf das riesige Luxusschiff. Schließlich waren wir wieder in Patras und bald danach zuhause. Und kurze Zeit später haben wir dann euch beide verhungerten Magermilchkrüppel getroffen und mussten jeden Tag den doofen Weg zu euch gehen, damit ihr was zum Fressen bekommt und nicht abnibbelt wie der dritte Junghund, der mit euch am Anfang zusammen war“.

Lisa, kam es mir in den Sinn, und es lief mir kalt den Rücken hinunter, unsere tote Schwester Lisa. Klar, von nun an kannten wir die Geschichte ja. Onkel Ari blieb eine Weile still und nachdenklich liegen, dann stand er auf und lief zum Haus um was zu trinken. Tante Kyra meinte: „So, habt ihr nun genug Geschichten gehört, oder wollt ihr jetzt meine Geschichte auch noch hören?“ „Erzähl uns deine Geschichte auch noch“, bettelte Lara. „Fang doch jetzt gleich an, vielleicht dauert es lange bis Chefin und Boss zurück sind, und wir können sie an einem Stück hören. Oh ich liebe Geschichten!“, und dabei rollte sie sich über den Rücken auf die andere Seite und langte vorsichtig mit einer Pfote nach Kyra.

„Gut“, meinte Kyra. „Aber ich erzähle sie euch oben auf dem Dachzimmer, also Hopp!“

Wir rasten nach vorne zum Haus und riefen Onkel Ari schon von weitem zu, „Tante Kyra erzählt gleich ihre Geschichte, los komm mit aufs Dach!“ Wir gingen hinauf aufs Dachzimmer, Lara stürmte voran, dann ich, dann Onkel Ari und zuletzt mit entsprechender Würde Tante Kyra, die offenbar ganz stolz war, dass sich jemand für ihre Geschichte interessierte. Sie legte sich neben Onkel Ari aufs Podest, seufzte tief und begann zu erzählen.