Die Tage in unserem neuen Zuhause flogen nur so dahin, vom feinen Essen am Morgen zum noch feineren Essen am Abend, und alles war hier viel besser als draußen am alten Weg. Wenn die Menschen im Haus kochten, dann bliesen sie mit irgendeiner Maschine einen herrlichen Duft hinaus in den Garten um uns Appetit zu machen. Es gab immer frisches, kühles Wasser, immer mal ein sonniges und immer mal ein schattiges Plätzchen. Besonders toll fanden wir das Zimmer auf dem Dach, das uns der Boss schon am zweiten Tag gezeigt hatte. Das war wie ein Zimmer ohne Dach aber auf dem Dach. merkwürdig, dass es so was gibt. Natürlich wusste ich damals noch nicht was ein Zimmer war, aber mit meinem jetzigen Wissen kann ich es so beschreiben. Also dieses Dachzimmer ohne Dach hatte einen ganz sauberen glatten Boden, keine Erde. Alles war einfach nur glatter und sauberer Stein. Da konnte man irrsinnig gut herumtollen, sogar rutschen, wenn man richtig Anlauf nahm. Allerdings musste man vorher eine Treppe hinauf steigen, aber auch das machte Spaß. Wer als erster oben war, konnte den anderen wieder ein Stück hinunterschubsen. Am besten aber war das Klappern, das die Spielsachen oben in diesem Dachzimmer verursachten, wenn man sie herumwarf. Und wir hatten inzwischen viele Spielsachen. Am liebsten spielte ich mit irgendwelchen Holzstücken, die ich im Garten fand. Lara spielte lieber mit den Schuhen der Chefin, auf denen man so herrlich herumkauen konnte. Natürlich hat die Chefin meist gebrüllt, wenn sie Lara mit einem Schuh erwischt hat, aber nach ein paar Minuten hat sie wieder gelacht und Lara gestreichelt. Also hab ich mir gleich mal gemerkt, wenn man Streicheleinheiten will, dann muss man nur einen Schuh zerkauen. Einmal haben wir auch ein Stück von Chefin' s Fell zum Spielen gehabt, ich glaube man nennt es Unterhose. Es roch nicht schlecht, und wir zerrten von zwei Seiten daran bis es fast einen dreiviertel Meter lang wurde. Wau, da hat die Chefin aber getobt hinterher. Jetzt war ihr das Fell plötzlich ein ganzes Stück zu groß, und sie brauchte das Fell doch, denn ohne sah sie ziemlich grässlich aus, richtig nackig, obwohl das Fell auf ihrem Kopf lang war, gab es nämlich fast gar kein Fell sonst an ihrem Körper. Ich hab sie nämlich ein paar mal beobachtet, wie sie sich oben auf dem Dachzimmer ohne Fell in die Sonne legte.
Jedenfalls war hier immer etwas los und eines Morgens sollte noch mehr los sein. Ich hörte zufällig wie Tante Kyra zu Onkel Ari sagte, dass wir verreisen würden. Onkel Ari fragte, woher sie das wüsste und Kyra sagte ihm, dass sie es vom Boss persönlich wüsste, er hätte am Abend mit der Chefin darüber gesprochen. Onkel Ari wurde gleich ganz nervös und Tante Kyra dann auch und wir letztlich auch, obwohl wir gar nicht wussten, was verreisen eigentlich bedeutet. Ich fragte deshalb Onkel Ari, und er antwortete, verreisen ist wegfahren, mit dem Auto fortfahren. „Da sieht man tolle Dinge und riecht ganz andere Sachen. Es ist richtig Spitze“, meinte er. „Und mit was fahren wir weg?“, fragte Lara. „Da, mit dem großen, weißen Bus. Das ist eigentlich mein Bus“, meinte Tante Kyra. „Aber ich lass euch natürlich alle mitfahren, wenn ihr brav seid und tut, was ich sage“. Nach einer Weile machte der Boss tatsächlich die Türe von dem Bus auf und Kyra sprang schon mal sicherheitshalber hinein, wahrscheinlich um sich einen der besseren Plätze zu sichern. „Los, kommt rein“, sagte sie. „Ich bin mit diesem Bus schon um die halbe Welt gefahren“. „Gib' nur nicht so an“, brummelte Onkel Ari, absichtlich ein wenig unverständlich, denn Tante Kyra war schnell dabei einen Hieb auszuteilen und verschonte auch den gutmütigen Onkel Ari nicht. So leise, dass sie es wahrscheinlich nicht hören konnte, sagte er zu uns: „Sie ist wirklich schon weit gefahren, aber letztes Mal war ich auch dabei. Da sind wir sogar auf großen Schiffen gewesen, die viel größer sind als Häuser und auf denen man nicht richtig pinkeln kann, weil es nur nach Öl riecht. Und dann kamen wir in eine Gegend in der es viel, viel Sand gab und es so heiß war, so dass man hätte verdursten können“. „Erzähl uns von dieser Reise, bitte erzähl“, bettelte Lara. Doch Ari meinte: „Los einsteigen, ich erzähle es euch unterwegs. Ich glaube, bald geht es los“. Aber es dauerte noch eine ganze Weile. Die Chefin und der Boss schleppten jede Menge Zeug in den Bus. Ich sah, dass auch leckeres Hundefutter dabei war und dachte mir schon, dass die Reise etwas länger dauern würde. Ach war das aufregend. Irgendwann tippelte auch der Boss ganz nervös um den Bus herum, schloss die Türen auf und zu, und alle warteten auf die Chefin. Doch die kam – noch – nicht. Später musste ich erfahren, dass das immer so abging. Wir Hunde und der Boss warteten schon längst, nervös zur Abfahrt bereit, und die Chefin fing immer noch hundert neue Tätigkeiten an wie Fell bzw. Haare waschen, Hof kehren, irgendwelche Dinge zusammenräumen. Es ging immer solange bis wir Hunde total unruhig wurden und bis der Boss mindestens dreimal gemosert hatte, erst dann ging's wirklich los.
Nun, endlich kam die Chefin und trug eine riesige schwarze Kiste mit sich. „Au, Scheiße, die große Schwärze! Sie bringen uns wieder fort, wo es uns doch so gut gefällt hier“, ging es mir durch den Kopf. Doch ein wenig anders war es diesmal schon, die Kiste hatte keinen Deckel und war mit einem weichen Tuch ausgepolstert. Eigentlich wollten wir ja mit Onkel Ari und Tante Kyra hinten im Bus sitzen und Onkels Geschichte lauschen. Nun saßen wir vorne in einer Kiste zwischen Chefin und Boss, die erst mal darum stritten, wer denn nun fahren dürfte. Natürlich fuhr die Chefin, weil sie eben die Chefin ist. So begann also unsere erste Reise.
Also das Gefühl, so in einem Auto zu sitzen und die Landschaft vorbeirasen zu sehen ist schon umwerfend. Nicht vergleichbar mit der Autofahrt während der großen Schwärze. Zunächst hat es mir richtig gut gefallen. Ich sah viele Häuser, Bäume, andere Autos, sogar ein riesiges Wasser sah ich. Lara meinte, „Hier müsste man leben, da hätte man immer genug zu trinken“, obwohl wir inzwischen ja wirklich genug zu trinken hatten. Von den vielen neuen Bildern in meinem Kopf wurde mir ganz schwindelig, und da viel mir ein, wie es mir in der großen Schwärze damals so arg schlecht geworden war, und je mehr ich darüber nachdachte, desto schlechter wurde mir. Ich weiß nicht warum, plötzlich fing ich an zu sabbern. Die Spucke tropfte mir nur so aus dem Maul. „Fang bloß nicht an zu Kotzen“, meinte Lara. „Das wird der Chefin gar nicht gefallen, wenn du hier alles voll kotzt. Weißt du noch, wie damals in der großen Schwärze?“. Ich wusste es wohl und versuchte krampfhaft zu schlucken. Sicher waren meine Augen schon ganz rot, aber es half alles nichts. Wenn Lara nur die Klappe gehalten hätte! Die Chefin raste in eine lange Kurve, ich sah nur noch Bäume und Berge, die sich drehten, und mir drehte es den Magen um und zwar gründlich. All das gute Frühstück, die feinen Futterbrocken mit Fleisch und Soße kotze ich über Lara, dazu noch ein paar Grashalme, auf denen ich herumgekaut hatte. Die Grashalme müssen wohl schlecht gewesen sein, denn kaum war alles draußen aus meinem Magen, ging es mir viel besser. Ich hob meinen Kopf und schaute hinaus. Die Chefin fuhr ungerührt weiter. Lara lag halb zugekotzt in einer Ecke und wagte nicht sich zu rühren, weil sie glaubte, die Kotze würde dann auch noch unter sie laufen. Sie zischte nur ganz leise: „Du alte Sau!“ Wo sie das wohl wieder her hatte? Ich hatte doch noch nie ein Schimpfwort gebraucht. Wahrscheinlich hatte sie es von Onkel Ari, der immer irgendwelche schlimmen Worte parat hatte und sogar richtig fluchen konnte, während Tante Kyra, wenn überhaupt, dann meist sehr gepflegt redete. Der Boss hatte wohl das Zischen von Lara gehört und sagte nur „Scheiße, alles vollgekotzt! Fahr da unten links ans Meer auf den Parkplatz. Die Lara müssen wir baden und die Lucy wohl auch. Ich glaub die Lucy hat auf die Lara gekotzt“. „Das habe ich mir ja denken können“, schimpfte die Chefin und fuhr brav ans Meer. Dort wurden wir mitsamt der Kiste sanft aus dem Auto gehoben. Nicht ganz so sanft packte die Chefin Lara und mich am Kragen und schleppte uns an das große Wasser, das ich schon vom Auto aus gesehen hatte. Prima, ich hatte eh schon ziemlich Durst nach alledem, doch das Wasser schmeckte salzig, igitt, einfach ungenießbar.
Die Chefin stellte uns doch glatt in diese salzige Brühe, zuerst Lara, dann mich und wusch uns von Kopf bis Fuß. Es war ziemlich kalt, aber irgendwie auch erfrischend. Mir ging es gleich viel besser, das Reisen fing mir fast an zu gefallen, und ich hatte Lust herumzutoben. Wir rasten durch den Sand am Strand entlang bis die Chefin anfing zu brüllen. Der Onkel spielte mit uns Fangen, es war richtig toll. Da fiel mir ein, dass der Onkel uns doch seine Geschichte erzählen wollte. Also rannte ich zu ihm hin, leckte ihm übers Gesicht als Gunstbeweis und als Aufforderung. „Erzähl doch jetzt die Geschichte, Onkel!“ Doch kaum hatte sich der Onkel hingelegt um mit dem Erzählen zu beginnen, da rief uns die Chefin: „Los, es geht weiter!“ Also zurück in die Kiste, Onkel und Tante wieder auf die hinteren, besseren Plätze. Die Chefin fuhr jetzt etwas langsamer, und mir ging's – zunächst noch – ganz gut. So für zwei Stunden vielleicht. Dann fing es in mir wieder an zu rumoren. „Bloß nicht nochmals kotzen“, dachte ich. „Aushalten, aushalten“, nahm ich mir vor. Doch in der nächsten Kurve war wieder alles zu spät. Es kam zwar kaum mehr Material mit, dafür aber jede Menge saure, gelbliche Flüssigkeit. Doch diesmal kotzte ich mich selber voll, traf Lara nur ein bisschen an der Vorderpfote. Wieder ging's ans Meer, wieder aussteigen, wieder baden. Es gab eine längere Pause, weil diesmal die Decken und Leintücher gewaschen und alles im Wind getrocknet werden musste. Komisch, immer nach dem Kotzen ging es mir schon bald wieder gut. Ich tollte mit Lara und Ari herum als wäre mir nie schlecht gewesen, und später gingen wir mit Boss und Chefin zusammen lange spazieren. Ich erinnere mich noch genau an diesen Spaziergang. Es war ein schmaler Weg durch hohe, stachelige Büsche, und es gab riesige Schmetterlinge, die einen ungeniert angriffen, so dass ich es zwischendurch mit der Angst zu tun bekam. Doch Onkel Ari schnappte nach ihnen und schon hauten sie ab. Vielleicht konnte man sie gar essen, dachte ich mir und schnappte auch, erwischte aber leider keinen.
Als wir nach Stunden am Strand zurück waren, waren dort eine ganze Menge merkwürdiger Hühner oder so was. Sie hatten zwar einen ganz anderen Schnabel als die Hühner, die wir kannten, sahen aber genauso gefährlich aus. „Was ist denn das?“, fragte ich Onkel Ari. „Das sind Enten, du Nuss“, antwortete er. OK, das sind Enten, aber sind sie gefährlich, fragte ich mich im Stillen. Und was ist schon wieder eine Nuss? Ich schlich mich mit Lara zusammen vorsichtig an die Enten heran. Doch da stand eine auf und schlug mit ihren Flügeln fast wie ein Huhn. Es sah so gefährlich aus, dass wir lieber abhauten. Die Enten hauten aber auch ab. Die rannten hinaus aufs Meer, so hieß das große Wasser, liefen einfach auf dem Wasser herum. Das wollte ich auch ausprobieren, doch irgendwie wollte das bei mir nicht funktionieren. Meine Füße blieben einfach nicht an der Wasseroberfläche, sondern versanken. Das Wasser reichte mir schnell bis zu den Knien, da hab ich lieber umgedreht. Weiß der Teufel, wie die Enten das anstellten, dass sie auf dem Wasser gehen konnten. Ja, es war schon ein interessanter Platz dort. Da gab es auch eine sumpfige Wiese, da konnte man im Matsch herumwaten, zumindest solange, bis die Chefin brüllte, und es gab jede Menge essbare Dinge am Strand, aber auch nur solange, bis die Chefin brüllte. Sie hat ziemlich viel gebrüllt an diesem Nachmittag!
Wir fuhren weiter, das heißt der Boss fuhr jetzt. Es ging in die Berge, Kurve um Kurve bergauf. Ich glaube, mir konnte gar nicht mehr schlecht werden, weil eh schon alles aus mir heraus war. Aber der Boss fuhr langsam. Ich schaute gar nicht mehr hinaus, sondern schlief an Lara gelehnt ein. Ich glaub Lara pennte auch die meiste Zeit. Dann irgendwann gegen Abend ging es über einen Holperweg zu einer Wiese. Stop, Aussteigen! Der Boss öffnete die hintere Bustür und hurra, da war unser Hundehaus drin. Sie stellten es auf die Wiese. Es gab zu essen und zu trinken, und bald legten wir uns in die Hütte um zu schlafen. Ich träumte wahnsinnig viel in dieser Nacht, von sich drehenden Welten, Autos, Entenhühnern und Hühnerenten, die übers Wasser liefen und von Onkel Ari gejagt wurden. Komisch, dass ich nicht vom Kotzen geträumt hab. Das war doch eigentlich das Schlimmste gewesen an diesem Tag.
Trotz unserer schönen Hütte, war es ganz schön kalt gewesen in dieser Nacht. Lara und ich blieben die ganze Zeit aneinander gekuschelt bis morgens die ersten Strahlen der Sonne durch unsere Hundehüttentür hereinschien. Diese Tür war eine geniale Erfindung von der Chefin. Es war nur ein Tuch, das oben an der Hütte befestigt war, so konnten wir rein und raus, wann immer wir wollten, und es blieb trotzdem schön warm drinnen. Als ich mich so langsam streckte und Lara in eine Ecke der Hütte schob, glaubte ich draußen Onkel Ari zu hören und beeilte mich ins Freie zu kriechen und wäre vor Schreck am liebsten wieder rückwärts in die Hütte gehüpft. Da stand doch keine fünf Meter von mir weg ein großer brauner Hund und schaute mich erstaunt an. Er brummte was von „Was bist denn du für eine?“, und vor Schreck entfuhr mir ein “Wuff“. Lara war damit sofort wach und drängelte sich raus. Doch dann ist auch sie ganz schön erschrocken und fing auch an mit „Wuff“. „Wuff“ ist unser Ausdruck ängstlichen Erstaunens. Und mit unseren „Wuffs“ hatten wir Onkel Ari und Tante Kyra aufgeweckt. Onkel Aris glockenreines Tenorbellen und Tante Kyras tiefe Bassstimme erschreckten den großen braunen Hund so sehr, dass er den Schwanz einklemmte und davonlief. Natürlich haben wir ihn ein ganzes Stück verfolgt, fast drei Meter, und ihn dabei heftig ausgebellt. Der hatte schnell gemerkt, dass mit uns beiden nicht gut Kirschen zu essen ist. Mittlerweile hatte auch der Boss seinen wuscheligen Kopf aus dem Fenster gestreckt und gefragt was los sei. „Wir haben nur gerade einen riesigen Hund verjagt“, erklärte ich ihm und kläffte nochmals mutig in die Richtung, in die der Köter verschwunden war.
Lara maulte bereits ihr „Wo ist das Frühstück-Maulen“. So eine kalte Nacht und gleich so eine Aktion am Morgen machen Hunger. Es dauerte auch nicht mehr sehr lange bis die Chefin, Ari und Kyra herauskamen. Onkel Ari suchte sofort die ganze Gegend nach dem Köter ab. Er hätte ihn sicher ordentlich vermöbelt und Tante Kyra setzte sich demonstrativ als Wache mitten auf unsere Wiese. Danach gab's Frühstück, einen kurzen Verdauungsspaziergang, und schon ging es weiter mit der Reise. Aber welches Unrecht! Lara durfte nach hinten zu Onkel und Tante, und ich musste wieder in die schwarze Kiste. „Erzähl bloß nicht deine Geschichte, Onkel“, rief ich nach hinten. „Ich will die nämlich auch hören“. „Ja, ja, ja, heute Abend oder bald erzähl ich euch was“, brummte Ari. Nach ziemlich kurzer Fahrt hielten wir wieder an. Ich wusste nicht was los war, ob wir am Ziel waren oder was. Ich wusste auch gar nicht, was das Ziel war. Jedenfalls hatte die Chefin das Auto am Straßenrand abgestellt. Es war sehr warm, und Sonne brannte mir auf meinen Pelz. Durst, Durst, doch bevor ich etwas sagen konnte, reichte mir der Boss schon einen Napf Wasser. Das ist ein Service! "Alle aussteigen!", sagte der Boss. Nur Tante Kyra blieb im Bus. „Einer muss ja wohl aufpassen, wenn ihr alle weg geht“, brummte sie. Ich glaube aber in Wirklichkeit war sie aber bloß zu faul um in der Hitze herumzulaufen und Boss und Chefin wussten das.
Toll, wir besichtigten eine alte Stadt, keine Ahnung wie sie hieß. Die Wege in dieser Stadt waren total eng, und da gab es große Tiere, die alles Mögliche schleppten. Zuerst dachte ich, es wären riesige Hunde, doch sie rochen ganz anders und konnten auch nicht winseln oder bellen. Onkel Ari sagte mir, dass man diese Tiere Pferde nennt oder Esel oder Pferdesel. Es schien aber auch viele Hunde hier zu geben, denn überall roch man ihre Spuren, doch ich sah keinen einzigen von ihnen. Wir stiegen endlos viele Stufen hinauf und erreichten eine Wildnis mit zerfallenen Gebäuden. Inzwischen weiß ich, dass man solche Gebäude Ruinen nennt, und dass die meistens sehr alt sind. In diesen Ruinen konnte man herrlich herumklettern, sich verstecken, und wenn Lara dann vorbeikam, sie plötzlich von hinten anfallen oder unerwartet an Onkel Ari vorbeizurasen, dass selbst dieser manchmal ganz schön erschrak. Aber das alles war auch ziemlich anstrengend. Wir bekamen Durst und Hunger, und als Chefin und Boss das merkten, sind wir über schmale Wege und Stufen wieder nach unten geklettert, dorthin, wo es richtige Häuser gab. Wir besuchten zum ersten Mal ein Café. Die Chefin bestellt für uns eine Schüssel Wasser. In dem Café wohnte ein dicker, brummiger Hund namens Kostas, der uns freundlich begrüßte. „Kommt rein, kommt rein, seid meine Gäste in meinem Café“, meinte er. „Braucht ihr vielleicht einen Fremdenführer, der euch unsere schöne Stadt aus bester Hundeperspektive zeigen kann? Ich mach's auch ganz billig! Kann auch prima Souvenirs vermitteln, garantiert ohne Provision“. Nun, Onkel Ari meinte, wir brauchten keinen Führer, da wir ja Chefin und Boss dabei hätten, aber vielleicht ja das nächste Mal. Der dicke Hund legte sich auf die Seite und brummte: „Auch gut, dann kann ich noch eine Weile schlafen“.
Chefin und Boss tranken derweil das widerliche Zeug, das sie Saft oder Kaffee nennen. Lara hat's mal heimlich probiert und obwohl die sonst alles mag, hat sie erklärt, es wäre das schlimmste gewesen, das sie je geschmeckt hätte. Wir schlenderten zurück zum Auto, wo Tante Kyra uns bereits erwartete und gähnend fragte: „Na, war's gut“? stöhnte sie. „Ziemlich heiß heute! Ich bin froh, dass ihr zurück seid, da können wir bald weiter fahren. Beim Fahren gibt's wenigstens etwas frischen Wind“. Und schon sprang sie wieder hinauf auf ihren Fensterplatz. Ari legte sich neben sie und Lara durfte sich auf den Sitz hinten legen. Gemein, ich musste wieder nach vorne. Wieder keine Geschichte zu erwarten.
Wir fuhren vielleicht zwei Stunden, dann gab's die nächste Pause. Gott sei Dank, denn die Straße war wieder sehr kurvig, und ich war erneut kurz davor zu kotzen. Die Chefin fuhr über einen kleinen Weg ans Meer. „Die werden uns doch nicht schon wieder baden wollen“, überlegte ich. „Ich hab mich doch noch gar nicht vollgekotzt!“ Meine Befürchtung war umsonst, es gab kein Zwangsbaden, dafür Kaffeepause mit Herumtollen am Strand für uns. Doch dann haben sie Lara und mir einen argen Schrecken eingejagt. Chefin und Boss, Onkel Ari und Tante Kyra sind einfach wie die Enten durch das Wasser gelaufen, auf der anderen Seite wieder ans Ufer gegangen, und nun hüpften und spielten sie dort, und ließen uns allein und verlassen auf dieser Seite des Wassers zurück. Sie hatten zwar versucht uns mit sich zu locken, doch sowohl Lara als auch mir war klar, dass dieses Wasser nicht zu überwinden war. Und nun waren die dort drüben und wir hier. Ich schrie, sie sollten gefälligst zurückkommen, doch sie drehten sich weg und gingen einfach weiter. Lara rannte ein Stück weit ins Wasser, doch als das Wasser ihr bis an den Hals ging, drehte sie rasch wieder um. Onkel Ari und Tante Kyra saßen inzwischen auf einem Felsen, ziemlich weit von uns weg, und Chefin und Boss riefen mehrfach, wir sollen doch einfach kommen. So ganz einfach, wie die sich das vorstellen, ist es aber nicht. Schließlich ist da ja tiefstes Wasser. Doch irgendwann war dann meine Angst alleine gelassen zu werden so groß, dass es mir egal war. Ich würde durch dieses Wasser gehen, und wenn ich schwimmen müsste. Und hurra, ich konnte tatsächlich schwimmen. Ich fühlte keinen Grund mehr unter meinen Füßen, ging aber nicht unter, sondern konnte durchs Wasser gehen. Natürlich musste ich den Kopf ein bisschen hoch halten, aber das hatten die Enten ja auch gemacht, die ich erst vor ein paar Tagen beobachtet hatte.
Ha, das war überhaupt kein Problem auf die andere Seite zu kommen, und bald saß ich neben Tante Kyra und dem Onkel und schaute zu, was Lara nun machen würde. Sie ist ja eigentlich die mutigere von uns beiden, doch heute hatte ich mehr Mumm bewiesen, und Chefin und Boss hatten mich gehörig gelobt. Ich war garantiert gleich fünf Zentimeter größer geworden an diesem Tag. Also wir schauten Lara zu, die sich immer noch nicht traute. Ich rief ihr „Setz deinen einen Fuß da hin, den anderen dort hin“, und so, aber irgendwie hat sie das nicht kapiert. Sie hat eine Weile gewinselt, doch dann kam auch sie ganz spontan zu uns hergeschwommen, als ob sie es schon immer gekonnt hätte. Tja, wir sind eben zwei ganz mutige Naturtalente!
Wir fuhren an diesem Tag noch lange hin und her, solange bis es dunkel wurde. Ich durfte am Schluss sogar unten auf dem Boden liegen und war gerade herrlich eingeschlafen, als wir plötzlich wieder zuhause waren. Wie das zuging, ist mir bis heute völlig schleierhafte, da wir so viele verschiedene Richtungen gefahren sind, dass meine Orientierung völlig versagte. Tante Kyra erklärte mir später, dass der Boss ein GPS – was immer das auch sei – hätte, mit dessen Hilfe er überall hin fände, auch wieder nach Hause. Wir waren so müde, dass wir sofort nach dem Abendessen in unsere Hütte gingen, die Chefin und Boss inzwischen wieder aus dem Bus ausgeladen hatten. Tante Kyra meinte zwar: „Ihr wolltet doch noch die Geschichte von Onkel Ari hören“, doch mir fielen fast die Augen zu. Ich gähnte nur und sagte, dass wir sie morgen unbedingt würden hören wollen. „Na dann, dann geht eben in eure Hütte. Wisst ihr übrigens, dass dies eine ganz besondere Hütte ist?“, fragte sie. „Wieso“, fragte Lara, die schon halb am Einschlafen war. “Was ist daran besonders, außer dass sie uns sehr gut gefällt?“ „Auf dieser Hütte hat früher ein Freund von mir gewohnt, ein guter Freund“, erzählte Kyra, und ihre Augen sahen ganz traurig aus. „Ist der Freund tot?“ fragte ich. „Und warum hat er auf und nicht in der Hütte gewohnt“. „Er ist nicht tot“, sagte Kyra. „Und er hat auf der Hütte gewohnt, weil er ein Vogel ist“. „Du hattest einen Vogel als Freund?“, fragte Lara. „Ja, ja, Jacko war mein bester Freund. Er ist ein Papagei, grün und gelb“, seufzte Kyra und sah dabei in die Ferne. „Er ist nicht tot. Er wohnt noch immer in dem Haus, in dem auch ich früher gewohnt habe. Jetzt wohnt er mit anderen Vögeln dort in einem großen Vogelhaus. Ich habe ihn einmal besucht. Es ging ihm ziemlich gut“. „Hast du denn nicht immer hier in dem Haus und Garten gewohnt“?, fragte ich sie. „Oh nein, ich wohnte früher wo ganz anders, weit, weit fort von hier“. „Erzähl uns doch von dem Ort, an dem du früher wohntest“, bat Lara. „Ja, ja, ich erzähl es euch mal bei Gelegenheit, aber nicht heute, denn das ist eine sehr, sehr lange und sehr traurige Geschichte, und ihr habt doch gesagt, ihr seid müde, und ich bin's auch, und außerdem soll zuerst Ari seine Geschichte erzählen. Also Gute Nacht für heute!“ Damit verschwand sie mit Onkel Ari ins Haus, und ich hörte gerade noch wie er sie fragte: „Du hast wirklich früher woanders gewohnt, Kyra? Ich ja auch!“ Und beide seufzten schwer ehe sich die Tür schloss. Was hab ich unruhig geschlafen in dieser Nacht. Ich träumte von dem großen Wasser, schwamm stundenlang darin herum, und ich träumte von dem grüngelben Vogelfreund von Kyra, der auf unserer Hütte saß und mit uns redete.